Samstag, 30. November 2013

„La Folia - Eine Melodie erobert die Musik“


Kennt ihr das auch: Man hat eine Melodie im Kopf, hat aber keine Ahnung, woher diese Melodie stammt!?

Das ist ein altbekanntes Phänomen und kann einen an den Rand der Verzweiflung bringen, nicht wahr?!

Das Rätsel um zumindest eine solche Melodie soll heute endgültig geklärt werden. Es wird ein Melodie-Schema vorgestellt, welches sich durch viele hundert Jahre geschlichen, in allen Epochen der Musikgeschichte Bestand gefunden und nichts an seiner Frische verloren hat. Seit seiner Erfindung erfreute es sich stets größter Beliebtheit, mit der die Musikgeschichte im Sturm erobert wurde. Somit wird heute ein weiter Brückenschlag getan, der einen Horizont erschließt, bei dem sich wieder mal Renaissance und Gegenwart über Jahrhunderte hinweg die Hände reichen!


In diesem Artikel möchte ich ein melodisch-harmonisches Satzmodell präsentieren, welchesLa Folia“ heißt und im Barock seine Blüte hatte. Dieses Wort kann man mit „übermütiger Ausgelassenheit“ oder auch „Tollheit“ übersetzen. Klingt eigenartig, nicht wahr? Grund genug, dass ich heute eine kleine Spurensuche betreibe, die uns durch die Musikgeschichte führen wird und wir erstaunt sein werden, was für große Namen uns dabei wieder begegnen. Was für ein Glück, dass wir vor diesen großen Namen mittlerweile keine Angst mehr haben, sondern sie uns längst als alte Freunde erscheinen, die gute Musik mit sich bringen!

Wir beginnen zunächst in der tiefsten Renaissance und befinden uns im Spanien sowie Italien des 16. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit entstanden Musikstücke, die bereits die Charakteristika des späteren „Folia“-Typs aufwiesen. Ein Komponist, der diesen Typus entschieden mitgeprägt hatte, war der Spanier Diego Ortiz (1510-1570), der an einem Hofe zu Neapel angestellt war. Und wenn man seine frühe Form der „Folia“ hört, so können sich einige bereits denken, welche Spannweite diese Melodie in der Musikgeschichte entfalten wird:




Dieses Musikstück kommt noch nicht bekannt vor?! Nun, dann schnell weiter …

Der große Durchbruch dieses Harmoniemodells kam erst im Barock, wo es durch den großen französischen Hofkomponisten Jean-Baptiste Lully (1632-1687) erstmals alle charakteristischen Merkmale der uns heute bekannten „Folia“ aufwies. Die unsterbliche Harmoniefolge, die von tiefem Moll-Grundton in Dur aufsteigt und dann wieder zu Moll hinabsinkt, berührt uns heute wohl noch genauso wie das höfische Leben damals:




Ein feudales Meisterwerk, nicht wahr?

Hier ist vielleicht eine kleine Anekdote angebracht: Lully steht in vielen Büchern als jener Komponist, der den unnötigsten aller Tode erleiden musste. Er war am Hofe vom „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. in Frankreich angestellt und wollte zu Ehren der Genesung des Königs nach einer gelungenen Operation ein Konzert veranstalten, bei dem er selbst dirigieren und den Takt schlagen sollte. Dummerweise schlug er sich dabei während seiner emotionalen Orchesterleitung mit dem Dirigentenstab auf den Fuß. Es entstand eine offene Wunde, die sich entzündete. Wenige Tage später starb Lully an Wundbrand. Shit happens ...

Wie auch immer, unter Lully begann die wahre Erfolgsgeschichte der „Folia“. Sie verbreitete sich über ganz Europa und alle großen Komponisten liebten dieses Satzmodell und jeder wollte ihm ein Werk widmen oder Variationen darüber schreiben.

Ganz gleich, ob es ein Antonio Vivaldi (1678-1741) in Venedig war:




Oder ein Georg Friedrich Händel (1685-1759) in London:




Oder ein Johann Sebastian Bach (1685-1750) in Leibzig:




Eingeweihte wissen, dass Vivaldi, Händel und Bach keine kleinen Meister des Barocks waren und so trugen diese dazu bei, dass die Popularität der „Folia“ keine Grenzen kannte. Dieses Satzmodell avancierte sogar zu einem der beliebtesten Tanzsätze des Barocks. Langsam gespielt würde es sich um eine Sarabande handeln. Hätte es damals Charts gegeben, wäre die „Folia“ jahrelang auf Platz eins der Barock-Hitliste gewesen.

Doch auch nach dem Barock, in der Klassik, griffen viele Komponisten auf die „Folia“ zurück.

Beispielsweise der wunderbare italienische Komponist und Gitarrenvirtuosen Mauro Giuliani (1781-1829):




Auch in der Wiener Klassik hielt die „Folia“ Einzug. Ein Komponist, der sich besonders um dieses Harmonieschema verdient gemacht hat, war Antonio Salieri (1750-1825). Kinofreunde, die den großartigen Film „Amadeus“ von Miloš Forman (*1932) gesehen haben, wissen, dass Salieri der Mörder von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) war. Kenner, die sich darüber hinaus auch ein wenig mit Musik beschäftigt haben, wissen, dass das nicht stimmt und dass Salieri in erster Linie als hervorragender Lehrer von Beethoven, Hummel, Liszt und Schubert Anerkennung verdient. Man könnte fast sagen, dass hier die Theater- und Filmindustrien im Falle Salieris einen ganz gemeinen Rufmord zu Gunsten des Spannungsbogens betrieben haben …

Wie auch immer, Salieri schrieb ein großes Variationswerk über das „Folia“-Thema, das zu seinen bedeutendsten Werken zählt:




Ludwig van Beethoven (1770-1827), Salieris Schüler und ein eitler Gockel, mochte diese Melodie auch sehr gerne. Er wollte sie jedoch eher etwas versteckt in sein Werk einfließen lassen, weil er der Ansicht war, dass auf dieses Thema (möglicher Weise auch schon im Rahmen dieses Artikels) zu oft direkt Bezug genommen wurde. Somit entschied er, das Thema manchmal nur anzudeuten, um nicht ins Vorwasser geistigen Eigentums eines anderen Komponistens zu geraten:




Wurde die „Folia“ erkannt? Ein raffinierter Kerl dieser Beethoven, nicht war?

Weltbekannt wurde Beethovens „Folia“-Verarbeitung im zweiten Satz von dessen 5. Symphonie. Es gibt eine kleine, ganz kurze Episode, wo er das Thema zitiert. Ich bin gespannt, wer diese erkennt:




Wer auf Minute 6:06-6:27 getippt hat, hat Recht. Erstaunlich, nicht wahr? Noch erstaunlicher ist, dass dieser Zusammenhang von Musikwissenschaftlern erst 1994 publiziert wurde. Wir sind also mit diesem Artikel fast an vorderster Forschungsfront!

Da wir im Rahmen dieses Artikels bereits sehr viel Musik hören mussten, möchte ich langsam schließen. Ich hoffe, dieser Artikel konnte zeigen, wie sich die „Folia“ die Musik erobert hat. Und da Musik für viele das Paradies bedeutet, hat die „Folia“ das Paradies von der Renaissance ausgehend erobert. Und da in vielen Lehrbüchern der Beginn der Renaissance mit 1492, der Entdeckung Amerikas, gleichgesetzt wird, könnte jemand, der des Englischen mächtig ist, pointiert sagen: „Folia – 1492 - Conquest of Paradise“!

Klingelt es? Nein? Dann hört mal auf die Melodie des folgenden weltbekannten Werks eines griechischen Komponistens namens Vangelis (*1943), der besonders durch seine Filmmusik Bekanntheit erlangt hat:




Somit ist die „Folia“ nach einem langen Weg von tiefer Vergangenheit aus schließlich in unserer Gegenwart angekommen. Eine Melodie, die bereits damals begeisterte, wurde uns auch heute zu Teil! Ein Handschlag zwischen Renaissance und dem Jetzt ist gelungen!

Das ist die Kraft und die Beständigkeit der Musik, die uns doch so sehr bereichert … da sie jeder Zeit enthoben ist!

(Ich widme diesen Artikel meinen beiden Freunden Ronald Sladky und Barry Lyndon!)

3 Kommentare:

  1. Vielen Dank für diesen Artikel!

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  2. Eine sehr gute Einführung, danke. Aber mich würde darüberhhinaus noch das Harmonieschema, die Taktfolge für das Thema etc. interessieren. Man hört es in Ihren Beispielen - aber es wäre schön, wenn Sie es noch einmal für einen Laien erklären könnten,
    Ulrich Metzger

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