Freitag, 15. November 2013

2. „Wenn das Schicksal an die Pforte klopft“ oder Beethoven 5


Das nächste Stück wird wohl von den vier berühmtesten Noten der Musikgeschichte eingeleitet, die Epoche machten. Seit jeher wurde dieses Stück mystisch mit dem Schicksal seines Komponisten in Verbindung gebracht und plakativ „Schicksalssymphonie“ genannt. Es ist jedoch für diese Betitelung seitens des Komponisten selbst keine Grundlage oder gar Rechtfertigung überliefert. Dieser Beiname wurde von der Nachwelt beigefügt und ist wohl auf die beflügelte Fantasie durch das eindringliche Hauptthema zurückzuführen. Fremdbetitelungen dieser Art (unabhängig des Komponisten) ist ein Phänomen, das uns noch oft in der klassischen Musik begegnen wird.

Doch abseits des Titels offenbart sich in diesem Werk ein Kosmos an reduzierter Dichte und Entschlossenheit, der seinesgleichen sucht:




Und nun zu unseren Fragen:

  • Wer hat dieses Werk komponiert?

Solch Musik kann nur von Ludwig van Beethoven (1770-1827) stammen.


  • Ist das Musikstück ein alleinstehendes Werk oder gehört es zu einem größeren Ganzen?

Der populäre Satz von der Hörprobe ist nur ein Teil vom Ganzen. Es handelt sich um den ersten Satz (Kopfsatz) einer Symphonie.

  • Welcher Gattung lässt sich dieses Werk zuordnen?

Es handelt sich also um eine Symphonie, um Beethovens Symphonie Nr. 5 c-Moll op.67.

Bei einer Symphonie handelt es sich um ein Orchesterwerk mit üblicherweise (von einigen Ausnahmen abgesehen) vier Sätzen. Einem eher umfangreichen 1. Satz folgen meist ein langsamer, liedhafter Satz sowie ein tänzerischer, humorvoller Satz (oft als Menuett oder Scherzo bezeichnet) als auch ein abschließender Finalsatz.

Somit haben wir eine neue Gattungsbezeichnung kennengelernt, die Symphonie, sowie eine neue Art von Werkverzeichnis, das Opus (op.), welches (nicht immer erfolgreich) versucht, die Werke eines Komponisten chronologisch zu reihen. Dies steht im Gegensatz zum BWV und HWV, welche die Werke nach Gattung ordnen, was wohl auf das ungemein umfangreichere Werk von Bach und Händel zurückzuführen ist.

  • Hat der Komponist weitere Werke dieses Genres komponiert?

Ja, Beethoven hat neun Symphonien vollendet, welche für nachfolgende Generationen stilprägend wurden, und deckt mit seinem symphonischen Schaffen viele Ausdrucksformen ab.

Besondere Berühmtheit, abseits der 5. Symphonie, haben die dritte Symphonie „Eroica“ mit dem gewaltigen Trauermarsch an zweiter Stelle, die sechste Symphonie mit ihrem lyrischen Kopfsatz, die siebente Symphonie mit dem gespenstisch-poetischen zweiten Satz sowie die neunte Symphonie mit dem Choral „An die Freude“ im Finalsatz erlangt.

Als beeindruckendes Beispiel an Ausdruckskraft sei hier der zweite Satz der Symphonie Nr. 7 A-Dur op.92 hervorgehoben, der ebenfalls weit über die klassische Musik hinaus Popularität gewann:




  • Welcher Epoche lässt sich das Werk oder der Komponist zuordnen?

Ich persönlich halte diese Frage für sehr spannend. Grundsätzlich wird Beethoven der 1. Wiener Schule gemeinsam mit Joseph Haydn (1732-1809) und Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) zugeordnet, die gemeinhin als Wiener Klassik bekannt ist und die erste große einheitliche Epoche nach dem Barock darstellt.

Mit dieser Definition bekommt man allerdings schnell Probleme, da Beethovens Werk weit über Haydn und Mozart hinausgeht und ganz neue Klangwelten erschließt, welche die Tore für die nächste Epoche, der Romantik, weit öffnen.

In Beethovens späten Jahren rüttelte er sogar an der Tonalität und fand im Laufe seines Schaffens Rhythmen, die erst im 20. Jahrhundert ganz verstanden wurden. In dieser Beziehung war Beethoven seiner Zeit weit voraus und die Bezeichnung Visionär wäre fast noch zu gering gegriffen. Manche sprechen sogar von Beethoven als den wahren Erfinder des Ragtime und des Boogie-Woogie. Und wenn man folgende Passage aus dem 3. Satz von dem Klavierkonzert Nr. 1 in C-Dur, op.15 des noch jungen Beethovens hört, so fühlt man sich in der Tat an Scott Joplins (1867-1917) hundert Jahre später komponierten „The Entertainer“ erinnert:




Folgende Stelle aus Beethovens letzter Klaviersonate in c-Moll, op.111 bezeichneten selbst große Komponisten des 20. Jahrhunderts wie Igor Strawinsky (1882-1971) als den ersten „Boogie-Woogie“ der Musikgeschichte:




  • Gab es andere Komponisten in jener Zeit, die Ähnliches komponiert haben?

An dieser Stelle muss Franz Schubert (1797-1828) genannt werden, der ein Zeitgenosse Beethovens war und sich in den gleichen Musikgattungen versuchte. Auch er schrieb Symphonien, in denen er in den letzten Jahren seines Lebens eine ganz eigene Tonsprache fand, die bereits vollends der Romantik angehörte.

Schuberts bekannteste Symphonie ist wohl seine „Unvollendete“ in h-Moll, D759. (D steht für Deutsch-Verzeichnis, das Schuberts Werkverzeichnis darstellt.) Er schrieb nach dieser noch eine vollendete Symphonie in C-Dur, D 944 , die wohl sein geschlossenster und gelungenster Wurf auf dem Gebiet der Symphonie ist. Ein weiteres Symphoniefragment in D-Dur, D936a konnte Schubert nicht mehr vollenden, dennoch gehört dieses zum Intensivsten, Berührensten und zugleich Versöhnlichsten, was ein junger Mensch von knapp 30 Jahren an seinem Totenbett hinterlassen kann:




  • Haben diese Komponisten abseits dieses einen Genres andere bedeutende Werke geschrieben?

Ja, gerade bei Beethoven lohnt es sich, auch das Umfeld von seiner 5. Symphonie kennenzulernen. Beispielsweise wurden bei deren Uraufführung auch noch Beethovens 6. Symphonie, welche sich grundlegend von der vorangegangenen unterscheidet, wie auch sein 4. Klavierkonzert und seine Chorfantasie gespielt.

Speziell Beethovens Chorfantasie op.80 ist ebenso unbekannt wie beeindruckend. Auch sie steht in der düsteren Tonart c-Moll und ist eine Mischung aus Klavierimprovisation, Klavierkonzert und Chorwerk, sprengt also jeden klassischen Rahmen. Sie wird nicht zu Unrecht als Vorstudie zu Beethovens Finale seiner 9. Symphonie bezeichnet.

Wer speziell den düsteren, kraftvollen Beethoven liebt, dem seien auch noch die zeitlich nicht weit von der fünften Symphonie entfernten Ouvertüren „Coriolan“ c-Moll op. 62 sowie „Egmont“ f-Moll op. 84 ans Herz gelegt. Besonders die die Egmont-Ouvertüre wurde stilprägend für dramatische Musik in der Populärkultur. Man höre sie sich in Ruhe an und versuche die Filme zu erraten, deren Soundtracks sich an Beethovens Egmot inspiriert haben:




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Somit beende ich meine Ausführungen zu Beethovens Symphonie Nr. 5.

Morgen wird eine kleine Pause stattfinden und am Montag gibt es etwas fürs Herz: Wir wagen uns an Musik aus dem 20. Jahrhundert, die sich ganz der Spätromantik verschrieben hat.

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