Mittwoch, 30. Juli 2014

"Schubert - Auch Käse kann Musik sein"

meinem Freund und musischen Kampfgefährten Professor Wolfgang D. gewidmet
 
Dann und wann erlebt auch unsere kleine Klassik-Kunde ebenso kuriose wie bereichernde Begebenheiten: Gestern Abend, als das Team dieses Blogs sich zur Besprechung und Skizzierung künftiger Artikel in meiner Wohnung einfand und das Zimmer ebenso vom Glanz des Weines wie vom Klang klassischer Musik erfüllt war, bekam ich gegen elf Uhr nachts ein keckes SMS eines ehemaligen Professors, der mein Team und mich zu fordern suchte. Er verwies in seinem Schreiben auf ein Lied aus dem Jahre 1927, welches "Wer hat bloß den Käse zum Bahnhof gerollt?" hieß, und meinte, ich werde überrascht sein, wenn ich es hören würde.
 
 
Ich war irritiert und versuchte mein Team zu gewinnen, dieses Lied mit mir anzuhören. Das Vorhaben gelang und so widmete sich eine Runde von Klassik-Freunden für gewisse Zeit einem einzigen Thema, nämlich Käse in Form von diesem Lied:



Bei dem musikalischen Vorspiel des Liedes standen alle (von mir angefangen bis hin zu den Gebildetsten der Runde) ahnungslos und irritiert da wie eine Milchkuh vor einem Protonenbeschleuniger. Doch sobald der Gesang mit den titelgebenden Worten "Wer hat bloß den Käse zum Bahnhof gerollt?" einsetzte, wurden viele der Gruppe ganz unruhig und begannen Land unter den Füßen zu spüren: Ein alter Freund wurde wiedererkannt! Es war ein Freund, der hundert Jahre zuvor 1827 die den Worten zu Grunde liegende Melodie komponiert hatte!
 
Es handelte sich um einen Komponisten, der mir ebensoviel wie meinem Professor bedeutete. Und allein die gemeinsame Liebe zu diesem Meister, macht die Bande der Freundschaft zwischen dem Professor und mir unzertrennlich, da so viele unvergessliche gemeinsam sinnierende Stunden durch diese Musik noch einmal vergoldet wurden. Dieser Meister war kein Geringerer als Franz Schubert (1797-1828)!
 
Und plötzlich mischte sich zu der grüblerischen Anspannung im Team ein Lächeln der Erleichterung. Die Basis des Käses bildete also Schubert. Und auch wenn Schubert selbst keinen Käse komponiert hat ... dieses Käse-Lied macht das unsterbliche Erbe Schuberts um eine (wenn auch skurrile und humoristische) Facette reicher.
 
Die Melodie stammt übrigens aus Schuberts wunderbarem und tiefgreifendem Impromptu D 935/2 in As-Dur, welches nicht nur den kleinen Appetit zu stillen vermag:





Montag, 28. Juli 2014

„Film und Klassik – Somewhere Over the Rainbow“


Was wäre ein Film nur ohne Musik?! Wie notwendig ist doch die passende musikalische Begleitung, um der Spannung des Films ihren wahren Glanz zu verleihen. Was wären Liebesszenen ohne den schwebenden Klängen der Streicher, was Kämpfe und Duelle ohne den martialischen Sound der Blechbläser; was wären Trauer und Melancholie ohne der sanften Melodie des Klaviers? Ja, Filmmusik ist notwendig und bereichernd, um Szenen zusätzliche Tiefe zu verleihen. Und manchmal, wenn diese Musik besonders gelungen und eingängig ist, erlangt diese über den Film hinaus Bekanntheit und wird ein Teil unserer Populärkultur:

Schließlich weiß heutzutage jedes Kind, wie es klingt, wenn sich ein weißer Hai nähert, wenn ein Archäologe mit Peitsche und Hut verlorene Schätze sucht, wenn ein britische Geheimagent Weltherrschaftspläne anderer vereitelt, wenn ein metrosexueller Pirat durch die Meere kreuzt oder wenn eine Frau unter der Dusche erstochen wird.

Diese Melodien sind sehr populär und leicht wiederzuerkennen, auch wenn die Filme selbst nicht gesehen wurden. Was aber wenige wissen, ist, dass sich ziemlich alle populären Filmthemen aus der Klassischen Musik ableiten lassen. Und genau davon soll die Rubrik "Film und Klassik" bei Sölkners Klassik-Kunde handeln!


Heute ist eine der wohl bekanntesten und beliebtesten Balladen des 20. Jahrhunderts unser Thema. Es handelt sich um das Lied "Somewhere Over the Rainbow", das im Jahre 1939 von Harlold Arlen (1905-1986) für den Film "The Wizard of Oz" komponiert wurde. Dort wird es von der jugendlichen Judy Garland (1922-1969) auf bezaubernd sehnsuchtsvolle Weise gesungen:




Das Lied wurde später von unzähligen Künstlern unterschiedlichster Qualitäts- und Gewichtsklassen gecovert und neu interpretiert. Das Original beruht aber auf dem Film "The Wizard of Oz"!

Der Artikel könnte hier zu Ende sein, doch so einfach macht es sich Sölkners Klassik-Kunde nicht! Das Lied an sich hat seinen Ursprung 1939, die musikalische Idee aber keinesfalls! Die Melodie hat ihre Wurzeln wie so oft in der Klassischen Musik, in der Spätromantik.

Den eigentlichen Ursprung hat die Melodie möglicherweise in Edvard Griegs (1843-1907) Klavierkonzert in a-Moll, welches 1869 komponiert wurde. Dessen recht mächtiger 3. Satz besitzt eine sehr lyrische Passage, die fast wie eine romantische Fantasie über die doch sehr klare Melodielinie von Arlen klingt. Diese entstand immerhin 70 Jahre vor "Somewhere Over the Rainbow". Man höre sich einfach die lyrische Passage von Minute 2:44 bis 5:18 in der Hörprobe an. Ich denke, feine Ohren können die Gemeinsamkeiten problemlos hören:



Mit etwas Fantasie kann man diese Fantasie erkennen!

Dass die Melodie von "Somewhere Over the Rainbow" auch reif für die Oper ist, zeigen unsere nächsten beiden Beispiele:

Pietro Mascagni (1863-1945) war ein wunderbarer italienischer Komponist, der wohl zu den ganz großen Verdi-Nachfolgern auf dem Gebiet der Oper gehörte und nur von Giacomo Puccini (1858-1924) übertroffen wurde. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich seine Intermezzi, die er als orchestrale Zwischenspiele in seinen Opern verwendete. Das bekannteste Intermezzo ist bestimmt das aus seinem Meisterwerk "Cavalleria rusticana", doch auch jenes aus der Oper "Guglielmo Ratcliff" ist sehr beliebt. Diese Oper basiert auf einem Werk von Heinrich Heine (1797-1856) und wurde 1895 uraufgeführt. 

Dieses Intermezzo wurde auch weit außerhalb Italiens bekannt und ich könnte schwören, dass es auch Arlen besonders gut vertraut war:



Hier wird es melodisch schon sehr ähnlich, nicht wahr?

Der große böhmische Komponist Antonin Dvořák (1841-1904) schrieb gegen Ende seines Lebens nur noch Opern, von denen "Rusalka" besonders bekannt wurde und auch heute noch als eine der bedeutendsten tschechischen Opern gilt. Eine Arie daraus hat es zu den leuchtendsten und bekanntesten der Operngeschichte geschafft und dürfte vielen auch abseits der Oper "Rusalka" vertraut sein. 

Wenn man den wunderschönen Refrain in den Minuten 2:01 sowie 4:14 der Hörprobe vernimmt, wird man die letzte Gewissheit haben, dass die Melodie von "Somewhere Over the Rainbow" nicht allein Harold Arlens Verdienst ist, sondern Dvořák der wahre Urheber war. Dvořáks Arie heißt übrigens "Měsíčku Na Nebi Hlubokém". Hier wird kein Regenbogen besungen, es handelt sich um ein sehnsuchtsvolles Lied an den Mond:




„Film und Klassik – Star Wars“


Was wäre ein Film nur ohne Musik?! Wie notwendig ist doch die passende musikalische Begleitung, um der Spannung des Films ihren wahren Glanz zu verleihen. Was wären Liebesszenen ohne den schwebenden Klängen der Streicher, was Kämpfe und Duelle ohne den martialischen Sound der Blechbläser; was wären Trauer und Melancholie ohne der sanften Melodie des Klaviers? Ja, Filmmusik ist notwendig und bereichernd, um Szenen zusätzliche Tiefe zu verleihen. Und manchmal, wenn diese Musik besonders gelungen und eingängig ist, erlangt diese über den Film hinaus Bekanntheit und wird ein Teil unserer Populärkultur:

Schließlich weiß heutzutage jedes Kind, wie es klingt, wenn sich ein weißer Hai nähert, wenn ein Archäologe mit Peitsche und Hut verlorene Schätze sucht, wenn ein britische Geheimagent Weltherrschaftspläne anderer vereitelt, wenn ein metrosexueller Pirat durch die Meere kreuzt oder wenn eine Frau unter der Dusche erstochen wird.

Diese Melodien sind sehr populär und leicht wiederzuerkennen, auch wenn die Filme selbst nicht gesehen wurden. Was aber wenige wissen, ist, dass sich ziemlich alle populären Filmthemen aus der Klassischen Musik ableiten lassen. Und genau davon soll die Rubrik "Film und Klassik" bei Sölkners Klassik-Kunde handeln!

Den Anfang macht heute ein Herr in Schwarz, der (gemeinsam mit seinem Mentor, dem Imperator, und der Raumstation "Todesstern") im Universum sein Unwesen treibt. Es handelt sich natürlich um keinen Geringeren als Darth Vader aus "Star Wars", der durch den Komponisten John Williams (*1932) eine der bekanntesten musikalischen Motive der Geschichte der Filmmusik bekommen hat. 


Sein Leitmotiv im Film ist der weltberühmte "Imperial March":




Viele würden dieses Musikwerk bereits selbst als "klassisch" einstufen und auch die Wiener Philharmoniker nahmen es in ihr Programm bei dem Konzert in Schönbrunn 2010 auf. Dennoch bleibt es ein Produkt der Filmindustrie, das sich sehr entspannt verschiedenster klassischer Einflüsse bedient.

Der schreitende, martialische Duktus ist sehr an Werken von Gustav Mahler (1860-1911) angelehnt. Mahler hatte selbst eine große Vorliebe für Marschmusik und brachte diese immer wieder auf verschiedenste Art in seinen Symphonien zum Einsatz. Als Beispiel sei der erste Satz seiner großartigen 6. Symphonie angeführt:




Feine Hörer verweisen immer wieder auf noch früherer Einflüsse. In Zusammenhang mit dem "Imperial March" wird oft auch der berühmte Trauermarsch von Frédéric Chopin (1810-1849) gebracht:




Jeder möge den Grad des Einflusses der eben gehörten Werke selbst beurteilen. Den wohl direktesten und ungefiltertsten Einfluss hatte ein Musikstück des britischen Komponistens Gustav Holst (1874-1934). Seine bekannteste Komposition ist wohl sein Orchesterwerk "The Planets" aus dem Jahre 1914. Dieses umfasst 8 Sätze, von denen jeder einen Planeten unseres Sonnensystems thematisiert. Somit sind alle Planeten musikalisch in Szene gesetzt. (Am Rande sei erwähnt, dass Pluto erst 1930 entdeckt wurde und seit 2006 nicht mehr als Planet gilt. Holst tat also gut daran, kein Musikstück für Pluto nachzukomponieren!)

Wie auch immer ... Die Komposition für den Planeten Mars ist natürlich ganz dem Kriegsgott gewidmet und besitzt den Titel "Mars, the Bringer of War". Im Hintergrund kann man stets das Hämmern des Kriegsgottes vernehmen, das (gleich einer anrückenden Armee) immer stärker wird. Dies war wohl das zündende Motiv, welches Williams zu dem markanten Thema seines Marsches inspirierte, das Darth Vader sein musikalisches Gesicht verlieh und so seinen Siegeszug weit über die Filmindustrie hinaus antreten durfte:




Sonntag, 6. Juli 2014

"Nicht jede Parodie ist lustig - IV. Spätromantik"

--- für Milica ---


Unter einer Parodie versteht man im landläufigen Sinn eine komisch-satirische Nachahmung oder Umbildung eines berühmten Werkes. Dabei wird die ursprüngliche Intension des Werkes meist leicht abgeändert oder übersteigert, sodass es auf eine übertrieben-verzerrte Weise ins Lächerliche gezogen wird. Derartige Parodien (griechisch παρωδία für „der Nebengesang oder das Gegengedicht“) gab es bereits seit jeher und sie waren immer ein Ventil, um Emotionen, Missstände oder einfach nur Geselligkeiten (seien diese politischer, humanistischer oder künstlerischer Natur) im Deckmantel des Humors aufzuzeigen und Raum zu geben.

Und was hat das mit Musik zu tun?

Auch in der Musik existieren Parodien! Der Begriff "Parodie" dient aber in der Musikwissenschaft nicht zur humoristischen Überzeichnung, sondern zur Verwendung eines bestimmten Materials, das bereits existiert. Und das taten viele bequeme (und etwas faule) Komponisten nahezu regelmäßig: Sie nahmen ein bereits komponiertes Werk und benutzten dieses in einem anderen Zusammenhang einfach noch einmal. Hierfür wurde dieses etwas abgewandelt, indem ein neues Instrumenten-Ensemble oder einfach nur ein anderer Text der Komposition zugrunde gelegt wurde.

Kurzum: Nicht jede Parodie ist lustig!!!

Dieses Phänomen kann man in jeder Epoche finden. Diese Art des ökonomischen Gebrauches findet man vom Barock ausgehend bis hin zu bekannten Popliedern, die sich relativ frech klassische Melodien einfach stehlen. 

Grund genug für Sölkners Klassik-Kunde, diesem Phänomen nachzugehen. Wir haben uns in den letzten Beiträgen mit dem Barock, der Wiener Klassik und der Frühromantik auseinandergesetzt. Heute wenden wir uns der Spätromantik und ihrem Großmeister, Johannes Brahms, zu.


Johannes Brahms (1833-1897) ist eine Schlüsselfigur in der Musikgeschichte. Ihm ist es gelungen, die romantische Musiksprache unter Wahrung der klassischen Form zu einem letzten großen Höhepunkt zu führen. Bereits die nächste Generation mit Gustav Mahler (1860-1911) erweiterte die klassische Form derart, dass sie am Ende so gut wie überwunden war. Die übernächste Generation mit Arnold Schönberg (1874-1951) sprengte die klassische Form endgültig und begründete einen neuen Zugang zur Musik. 

Das bedeutet aber nicht, dass die nachfolgenden Generationen Brahms wenig geschätzt hätten. Das Gegenteil war der Fall! Sie bewunderten Brahms, wie er im Rahmen der Konvention zu immer neuen Lösungsansätzen kam und dadurch die Musik im gesamten weiterentwickelte. Diese Tatsache verleitete Schönberg zu einer Huldigung an Brahms in Form seines Ausfatzes "Brahms-Der Fortschrittliche". So bürgerte sich dann auch schnell das geflügelte Wort ein, dass Brahms der "konservative Revolutionär" sei.

Brahms historisches Bewusstsein, sein Konservatismus, wird nicht nur durch die Verwendung von klassischen Formen gekennzeichnet, sondern auch durch den Gebrauch von Volksliedgut oder barocken Tanzformen, denen er in romantischen Gewändern zu neuem Glanz und neuer Gestalt verholfen hatte. Und diese neue Gestalt war tatsächlich meist mehr als geistreich ... Sie war revolutionär! Ein Beispiel hierfür ist ein Jugendwerk von Brahms, das in den 1850er Jahren entstanden war. Es handelt sich um eine Sarabande, die ursprünglich als höfischer Barock-Tanz galt:



Dieses doch recht einfache Thema schien Brahms sehr gefallen zu haben. In seinem Streichquintett op.88 griff er dieses im Jahre 1882 erneut als Hauptthema des 2.Satzes auf und fügte zwei beschwingte Zwischenspiele in Minute 2:02 sowie 6:14 der Hörprobe hinzu. Das schlichte Sarabande-Thema erfährt durch dieses neue Arrangement eine immense Aufwertung als Parodie. Gleichzeitig wird es in einer neuen, erweiterten Form eingebettet:



Geistreich und poetisch ... Brahms in Reinkultur!

Doch Brahms hatte noch viel mehr mit dem Thema vor: Es wurde Teil von seinem späten Meisterwerk, dem Klarinettenquintett op.115, das 1891 komponiert wurde. Auch der wunderbare langsame Satz, das (aus einer dreiteiligen Liedform bestehende) Adagio, basierte auf dem Thema der Sarabande. Dieses wird hier auf sensibelste Weise zur höchsten Entfaltung gebracht:



Ein lyrisches Stück Himmel ...

Eine Melodie in drei Gestalten, in drei Formen ...

Soviel zu Parodien verschiedener Epochen ... Es gäbe noch viele Beispiele und so manche werden uns wohl auch künftig noch begegnen. Diesmal sei aber genug darüber geschrieben!

Ich möchte diese Beitragsreihe mit der Erkenntnis beenden, dass eine einzige Melodie in unterschiedlicher Gestalt auch mehrere Welten in sich bergen kann! 

So weit, so tief ... so unerschöpflich ist die Welt der Musik!