Das erste Stück kennt
wohl ein jeder, da es immer wieder in der Populärkultur Verwendung findet, und doch kann es selten jemand richtig zuordnen.
Landläufig wird dieses Stück als „Air“ bezeichnet und von den
meisten bedenkenlos übernommen. Der Begriff „Air“ leitet sich
allerdings nicht etwa aus dem Englischen aufgrund des
atmosphärisch-himmelsnahen Streicherklangs ab, sondern kommt
vermutlich aus dem Altfranzösischen und bedeutet soviel wie
„Melodie“. Ein „Air“ repräsentiert also einen liedhaften,
melodiösen Satz.
Bei diesem Werk verbindet
sich melodische Ausdruckskraft mit technischer Meisterschaft und es
gehört zu Recht zu einem der berühmtesten Musikstücken der Welt:
Und nun zu unseren
Fragen:
- Wer hat dieses Werk komponiert?
Ich denke, es sollte
keine Schwierigkeit gewesen sein, Johann Sebastian Bach (1685-1750)
als Komponisten dieses Werkes zu ermitteln.
- Ist das Musikstück ein alleinstehendes Werk oder gehört es zu einem größeren Ganzen?
Von vielen wird es als
alleinstehendes Werk betrachtet, was allerdings nicht stimmt. Es
handelt sich hierbei um einen Satz aus einer Suite. Eine Suite im
ursprünglichen Sinn ist in der klassischen Musik eine Abfolge von
verschiedenen Tanzsätzen. In diesem Falle handelt es sich um eine
Suite für Orchester; die Tanzsätze werden also von einem Orchester
vorgetragen.
„Das 'Air' ein
Tanzsatz? Es klingt nicht wie ein Tanzsatz!“, werden nun viele
einwenden. Sehr richtig! Ein „Air“ wird als Zwischensatz einer
Tanzsuite gebraucht, welcher der Tanzform enthoben ist. Typische
Tanzsätze einer
Suite wären Allemande, Courante, Sarabande, Rondeau, Menuette,
Gavotte, Bourrée oder Gigue. Das klingt
jetzt nach viel Fachvokabular, sollte uns aber nicht weiter
beängstigen. Es handelt sich hierbei um
meist kurze, beschwingte Sätze. Zusätzlich wird einer Suite
oft ein einleitendes
Musikstück, eine Ouvertüre, vorangestellt.
Das
„Air“ ist in diesem Fall der 2. Satz der
Suite nach der Ouvertüre.
- Welcher Gattung (Genre) lässt sich dieses Werk zuordnen?
Nun, man könnte es schon
fast beim Lesen der vorherigen Antwort ahnen; es handelt sich um eine
Orchestersuite. Um genau zu sein, handelt es sich um die
Orchestersuite Nr. 3 in D-Dur, BWV1068.
Eine solche exakte Angabe
wirkt komplex, lässt sich aber sehr schnell entschlüsseln:
Zunächst wird die Gattung des Werkes genannt, in unserem Fall die
Orchestersuite. Anschließend folgt die Nummerierung, sollte der
Komponist mehrere Werke dieser Gattung geschrieben haben. Dann folgt
die Tonart, in der das Werk geschrieben steht, sowie die Nummerierung
in einem spezifischen Werkverzeichnis des Komponisten. BWV steht in
diesem Fall für „Bach-Werke-Verzeichnis“ und ordnet Bachs Werke
nach Gattung.
Also nüchtern betrachtet
ist das gar nicht so schwer. Und jeder, der jetzt Angst hat, weil er
keine Gattungsbezeichnungen kennt, sei beruhigt: Wir werden jede
einzelne mit vielen spannenden Hörbeispielen im Rahmen dieses Blogs
besprechen. Also nur Mut!
- Hat der Komponist weitere Werke dieses Genres komponiert?
Ja, Bach schrieb in Summe
vier Orchestersuiten und jede einzelne ist hörenswert. Man wird
viele bekannte Stücke finden, die ebenfalls in die Populärkultur
Einzug gehalten haben.
Beispielsweise
das Rondeau aus
der Orchestersuite Nr. 2 h-moll BWV1067:
Wer
weitere Orchesterwerke Bachs erschließen möchte, der wird bei den
Brandenburgischen
Konzerten fündig, welche keine Tanz-Suiten mehr sind, sondern
Konzerte für Orchester mit bestimmten
Instrumentengruppen im Vordergrund. Doch
diese Konzerte verdienen zu späterer Zeit
ein eigenes Kapitel.
- Welcher Epoche lässt sich das Werk oder der Komponist zuordnen?
Wir befinden uns im
Zeitalter des Barocks, das mit Johann Sebastian Bach wohl seine
Vollendung fand und die Form der Suite sich größter Beliebtheit
erfreute. So gibt es Suiten für Orchester, aber auch für
Soloinstrumente wie dem Cembalo, der Laute oder dem Cello.
Der vielleicht bekannteste Teil einer Suite für
ein Soloinstrument ist das Menuett aus Bachs französischer Suite Nr.
3 in h-moll, BWV
814 für Cembalo. Populär wurde es als Tetris-Soundtrack, der wohl
jedem von uns ein Begriff sein dürfte. Man könnte fast sagen, es
handelt sich hier um die Hymne einer ganzen Game-Boy-Generation:
Ein weiterer sehr
berühmter Suitensatz ist das Prélude, das Vorspiel, der ersten
Cellosuite in G-Dur, BWV 1007, welches vor allem in der
Filmindustrie gerne verwendet wird:
- Gab es andere Komponisten in jener Zeit, die Ähnliches komponiert haben?
Die zwei berühmtesten
Zeitgenossen von Bach waren Georg Friedrich Händel (1685-1759) und
Antonio Vivaldi (1678-1741), welche heute beide neben Bach zu den
bedeutendsten Komponisten des Barocks gehören.
Händel hat sich
ebenfalls besonders um die Orchestersuite verdient gemacht. Speziell
seine drei Suiten, die er bei Themse-Fahrten mit dem englischen
Königshof komponiert hatte, schrieben als „Wassermusik“
Geschichte. Auch seine Orchestersuite namens „Feuerwerksmusik“
ist sehr bekannt. Es empfiehlt sich einfach mal wahllos
hineinzuhören; man wird viele bekannte Melodien wiederfinden. Des Weiteren schrieb Händel aber auch Suiten für Cembalo. Der bekannteste „Tanz“
daraus ist mit Sicherheit die Sarabande aus der 4.Suite d-Moll HWV
(Händel-Werke-Verzeichnis) 437,
die es als Orchesterfassung zu Weltruhm schaffte:
- Haben diese Komponisten abseits dieses einen Genres andere bedeutende Werke geschrieben?
Bach hat auf jedem Gebiet
der Musikpraxis des Barocks (außer der Oper) Maßstäbe gesetzt, die
in ihrem Ausmaß und ihrer Vollendung nahezu einzigartig in der
Musikgeschichte sind und mit denen viele nachfolgende Generationen an
Komponisten sich konfrontieren mussten. (Es sei hier schon mal vorab
auf den ausführlichen Artikel „Vollendung
findet neue Bahnen? –
Mozart entdeckt den Barock“
verwiesen, der am Dienstag veröffentlicht wird.)
Vivaldi wurde vor allem
durch seinen Konzert-Zyklus „Die vier Jahreszeiten“ weltbekannt,
der sehr viele Melodien enthält, die kaum jemand nicht kennen kann.
Händel schrieb auch mit seiner
Kirchenmusik
sehr bedeutende Werke. Man denke nur an
die Stücke „For unto us a child is born“
oder „Hallelujah“
aus dem Oratorium „Messiah“,
HWV 56.
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Somit beende ich meine
Ausführungen zu Bachs „Air“ und hoffe, gezeigt zu haben, dass
man mit etwas Recherche interessante Informationen sammeln kann, die
das musikalische Umfeld eines bekannten Musikwerkes etwas besser
beleuchten und sogar Verbindungen zu unserer Populärkultur knüpfen.
Wie gesagt: Mit dem
Staunen und mit der Neugier fängt jede Wissenschaft an!
Morgen wagen wir uns an
etwas modernere Musik, die den Begriff der Klassik ins Herz trifft.
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