Die Beatles? Ist das nicht
Popmusik? Was hat das in einem Klassik-Blog verloren?
Ja, es ist richtig, die
Beatles waren die wohl erfolgreichste und einflussreichste Musikband
der Welt. Und ja, es ist richtig, die Beatles komponierten nicht in
den traditionellen Schemen der klassischen Musik. Doch sie haben
etwas geschafft, was sonst oftmals nur der klassischen Musik (und ab und zu
dem Jazz) inne war: Sie haben auf viele Musikrichtungen entscheidende Impulse ausgeübt und ganze Genres
mitgeprägt. Auch die Beatles selbst machten während ihres kurzen
Bestehens in den 60ern viele verschiedene Phasen durch, welche von
einer eindrucksvollen Entwicklung zeugen.
Und nun kommt der Clue:
Diese Entwicklung wäre ohne Kennenlernen von anderen Musikstilen und
Klangwelten nicht möglich gewesen. Jetzt denken viele wohl an die
indische Kultur, welche ebenfalls beeinflussend auf die Beatles
wirkte. Ich rede aber von der Wechselwirkung mit etwas, das die Beatles wohl
noch intensiver geprägt hat: die Begegnung mit klassischer Musik.
Diese Begegnung schlug
sich vielfach im Beatles Werk nieder, weshalb ich eine
kleine Unterteilung machen möchte (die sich teilweise
überschneidet), um so einige bekannte Beispiele hervorzuheben.
Ihr werdet erstaunt sein,
welche weltbekannten Popsongs von der Klassik inspiriert wurden!
a) Einsatz von
klassischen Ensembles
Ja, hier waren die
Beatles sehr fleißig, was speziell ihrem Produzenten George Martin
(*1926) zu verdanken ist, der zu Recht auch als „der fünfte
Beatle“ bezeichnet wurde. Er war nach seinem Studium der
Komposition und klassischen Musikorchestration ein Meister des
Arrangements und brachte viele klassische Elemente in die Klangwelt
der Beatles.
Kennt ihr beispielsweise das Lied
„Yesterday“aus dem Jahr 1965? Was soll die blöde Frage?!
Ok, das Lied ist wohl
bekannt. Aber von welchen Instrumenten wurde es begleitet? Keine
Ahnung!
Es wird neben den Klängen
von Paul McCartneys (*1942) Gitarre von einem
Streichquartett-Ensemble begleitet (0:22). Und das war durchaus nicht
üblich in der damaligen Beatmusik.
Ein Jahr später trieb
McCartney das auf die Spitze und schrieb für das großartige Album
„Revolver“ ein Lied namens „Eleanor Rigby“, bei dem er selbst
auf die Gitarrenbegleitung vollkommen verzichtete und sich
stattdessen nur von einem Streichensemble, einem Oktett, begleiten
ließ:
Doch nicht nur
Streichensembles hielten als Begleitinstrumente bei den Beatles
Einzug sondern auch Blasinstrumente. So komponierte McCartney für
das gleiche Album ein Lied mit dem Namen „For no one“, in dem er
über eine zerbrochene Liebe und eine kalte Frau singt, die wohl
jeder von uns auf seine Weise kennt. Doch das eigentlich Interessante
an dem Lied ist die Begleitung von Clavichord (einem alten
Tasteninstrument) und Klavier mit einer sehr klassizistischen Passage
im Refrain. Zusätzlich greift McCartney in einem Zwischenspiel (0:49) auf
ein Waldhorn zurück, in dessen Solo sogar eine Note außerhalb des
Tonumfangs des Waldhorns hinzugefügt wurde, um progressiv zu wirken.
Wunderbar ist auch die Überlappung von McCartneys Gesang mit der
Solostimme des Horns gegen Ende des Liedes (1:28). Es handelt sich hier um
klassische Verarbeitungstechniken!
Diese Verwendung von
Blasinstrumenten kann man auch in weiteren McCartney-Kompositionen
erkennen wie zum Beispiel in „Penny lane“, wo eine Solotrompete
hinzugefügt wurde, da McCartney von Bachs zweitem Brandenburgischen
Konzert inspiriert wurde, oder in „When I'm sixty-four“, wo ein
Klarinettentrio die Begleitung gestaltet.
Ein schönes Beispiel ist
auch noch das Lied „Piggies“ von George Harrison (1943-2001) auf
dem „White Album“ aus dem Jahre 1968. Dieses Lied mutet barock an
und gehört zu dem in den 60ern berühmten Genre „Baroque Pop“.
In diesem Lied werden auf ironische Weise Dekadenz und Völlerei
behandelt. Es wurde neben einem Streichquartett auch ein Cembalo
verwendet, um eine barocke Atmosphäre zu erzeugen, die in Minute
1:06 zu einem wunderbaren klassizistischen Intermezzo führt. Selbst
eine künstlichen Coda (Schlussteil) wird voller Ironie am Ende bei
1:55 unter Gegrunze von Schweinen angefügt:
b) Inspiration an
klassischen Themen
Es gibt viele Beispiele
bei den Beatles, in denen man klassische Passagen entdecken kann.
Bereits im Solo des letzten Lieds („Piggies“) konnte man eine
ganze Fülle an klassischer Kontrapunktik erkennen. Ein weiteres
Beispiel ist das Lied „In my life“ von John Lennon (1940-1980).
Als dieser es 1965 komponierte, fehlte ihm noch ein passender
Mittelteil und fragte George Martin um Rat. Dieser griff tief in die
klassische Trickkiste und zauberte ein Thema hervor, das aus Bachs
Inventionen (Sammlung von Übungswerken) stammen könnte. Lennon war
begeistert und so kam das zweistimmige Klaviersolo in der Mitte des
Lieds (1:29) ganz in barocker Manier zu Stande:
Zu späterer Zeit im
Jahre 1969 kurz vor dem Zerbrechen der Beatles hörte Lennon gerne
Beethoven und so kam es an einem Abend, dass ihm seine Frau Yoko Ono
(*1933) Beethovens „Mondscheinsonate“ am Klavier vorspielte, von
der Lennon tief beeindruckt war. Lennon schrieb sofort ein Lied, das
sich an der Melodie des ersten Satzes der Sonate inspirierte, diese
jedoch invertierte. Dabei entstand das wunderschöne Lied „Because“
vom Album „Abbey Road“. Hier die Klavierversion:
Auf die Spitze wurde das
Zitieren und die Verwendung von klassischen Instrumentengruppen aber
bereits 1967 mit Lennons Lied „All you need is love“ getrieben.
Hier wurde ein ganzes Orchester im Hintergrund verwendet, wo sich
Streicher und Bläsergruppen verschiedenst im Laufe des Liedes
abwechseln.
Begonnen wird das Lied
mit der Melodie der französischen Nationalhymne, worauf der Gesang
mit Cembalo-Begleitung einsetzt, der bald von Celloklängen,
Bläsergruppen und schließlich dem ganzen Orchesterkörper ergänzt
wird. Hierbei wird wohl die allumfassende Gültigkeit der Liebe
musikalisch versinnbildlicht.
Bei der Coda (dem
Schlussteil) sind wieder zwei klassische Zitate versteckt: Zum einen
wird in Minute 2:53 eine Invention von Bach auf der Trompete zitiert
und zum anderen wird in Minute 3:14 die Melodie vom Renaissance-Lied
„Greensleeves“ (Sölkners Klassik-Kunde berichtete) von den
Streichern aufgegriffen, worauf wieder Bachs Invention folgt.
Kurzum: ein
liebestrunkenes Wunderwerk voller bunter Farben und Überraschungen,
das wir heute auch ganz ohne Drogen genießen können:
c)
Beatles und die Polyphonie
Polyphonie?
Was war das nochmal schnell?
Keine
Sorge, unter Polyphonie versteht man keine Modedroge der 60er,
sondern ein mehrstimmiges Werk. Jetzt werden viele sagen, dass es bei
den Beatles ohnehin drei brauchbare Stimmen gab, nur der Drummer
Ringo Starr (*1940) viel etwas aus der Reihe ... aber das mein ich
damit nur indirekt. Es geht um die Überlagerung verschiedener
Gesangslinien in einem Lied. Man könnte bei den Beatles von der
Krönung der Beschäftigung mit klassischer Musik sprechen, da dies
in der Popmusik ebenso selten wie schwierig durchzuführen ist.
Den
Beatles gelang dies aber bei zwei Stücken meisterhaft, welche
erkennen lassen, dass sie sich brav mit dem Werk von Bach&Co
beschäftigt haben. Das erste Stück heißt „She's leaving home“
und befindet sich auf dem Jahrhundertalbum „Sgt. Pepper's lonley
hearts club band“ von 1967. Dieses Meisterwerk wird von zarten
Harfenklängen eingeleitet, über denen sich McCartneys Gesang
entspinnt. Dazu gesellt sich ein Cello, sowie ein ganzes
Streichensemble. Im Refrain des Liedes (0:52) wird es zweistimmig:
Lennon singt wie aus einem griechischen Chor im Hintergrund eine
neue, zusätzliche Melodielinie. Und schon entsteht eine mehrstimmige
Passage, welche nur von Harfe und Streichorchester begleitet wird und
auf herkömmliche Bandinstrumente wiedermal gänzlich verzichtet.
Hinreißend,
nicht wahr? Manche Musikkritiker und zeitgenössischen Komponisten sprechen vom Schubert-Äquivalent
unserer Populärkultur … eines der wenigen Lieder, die Lennon und
McCartney zu dieser Zeit noch gemeinsam komponiert haben!
Doch
diese Meisterleistung gelang den Beatles nicht nur mit klassischer
Begleitung. Sie trieben die Mehrstimmigkeit in dem Lied „I've got a
feeling“ aus dem Jahre 1969 auf dem Album „Let it be“ auf die
Spitze. McCartneys Gesangslinie eröffnet das Lied. Einen
kontrastierenden Mittelteil trägt Lennons Gesangslinie bei (2:05).
Diese werden bei 2:43 Minute zusammengeführt und kulminieren mit
Harrisons Gitarrenstimme sogar in Dreistimmigkeit. Ein meisterhafter
Einfall, welchen die klassische Musik zu dem Werk der Beatles
beitragen durfte:
Beeindruckend,
nicht wahr?
Ich
muss aber gestehen, dass es nicht notwendig ist, die klassischen
Einflüsse bei den Beatles entschlüsseln zu können und richtig
zuzuordnen, um ihre Musik zu lieben. Würde man alles, was ich in
diesem Artikel geschrieben habe, vergessen, so bleibt immer noch
eines übrig: Verdammt gute Musik, die für sich selbst bestehen
kann.
Es
handelt sich um Musik, die trotz aller verschiedenster Einflüsse
eines geschaffen hat: Ein neues Original!!!
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