Montag, 2. Dezember 2013

„The Beatles – Klassiker treffen Klassik“


Die Beatles? Ist das nicht Popmusik? Was hat das in einem Klassik-Blog verloren?

Ja, es ist richtig, die Beatles waren die wohl erfolgreichste und einflussreichste Musikband der Welt. Und ja, es ist richtig, die Beatles komponierten nicht in den traditionellen Schemen der klassischen Musik. Doch sie haben etwas geschafft, was sonst oftmals nur der klassischen Musik (und ab und zu dem Jazz) inne war: Sie haben auf viele Musikrichtungen entscheidende Impulse ausgeübt und ganze Genres mitgeprägt. Auch die Beatles selbst machten während ihres kurzen Bestehens in den 60ern viele verschiedene Phasen durch, welche von einer eindrucksvollen Entwicklung zeugen.


Und nun kommt der Clue: Diese Entwicklung wäre ohne Kennenlernen von anderen Musikstilen und Klangwelten nicht möglich gewesen. Jetzt denken viele wohl an die indische Kultur, welche ebenfalls beeinflussend auf die Beatles wirkte. Ich rede aber von der Wechselwirkung mit etwas, das die Beatles wohl noch intensiver geprägt hat: die Begegnung mit klassischer Musik.

Diese Begegnung schlug sich vielfach im Beatles Werk nieder, weshalb ich eine kleine Unterteilung machen möchte (die sich teilweise überschneidet), um so einige bekannte Beispiele hervorzuheben.

Ihr werdet erstaunt sein, welche weltbekannten Popsongs von der Klassik inspiriert wurden!


a) Einsatz von klassischen Ensembles

Ja, hier waren die Beatles sehr fleißig, was speziell ihrem Produzenten George Martin (*1926) zu verdanken ist, der zu Recht auch als „der fünfte Beatle“ bezeichnet wurde. Er war nach seinem Studium der Komposition und klassischen Musikorchestration ein Meister des Arrangements und brachte viele klassische Elemente in die Klangwelt der Beatles.

Kennt ihr beispielsweise das Lied „Yesterday“aus dem Jahr 1965? Was soll die blöde Frage?!

Ok, das Lied ist wohl bekannt. Aber von welchen Instrumenten wurde es begleitet? Keine Ahnung!

Es wird neben den Klängen von Paul McCartneys (*1942) Gitarre von einem Streichquartett-Ensemble begleitet (0:22). Und das war durchaus nicht üblich in der damaligen Beatmusik.




Ein Jahr später trieb McCartney das auf die Spitze und schrieb für das großartige Album „Revolver“ ein Lied namens „Eleanor Rigby“, bei dem er selbst auf die Gitarrenbegleitung vollkommen verzichtete und sich stattdessen nur von einem Streichensemble, einem Oktett, begleiten ließ:




Doch nicht nur Streichensembles hielten als Begleitinstrumente bei den Beatles Einzug sondern auch Blasinstrumente. So komponierte McCartney für das gleiche Album ein Lied mit dem Namen „For no one“, in dem er über eine zerbrochene Liebe und eine kalte Frau singt, die wohl jeder von uns auf seine Weise kennt. Doch das eigentlich Interessante an dem Lied ist die Begleitung von Clavichord (einem alten Tasteninstrument) und Klavier mit einer sehr klassizistischen Passage im Refrain. Zusätzlich greift McCartney in einem Zwischenspiel (0:49) auf ein Waldhorn zurück, in dessen Solo sogar eine Note außerhalb des Tonumfangs des Waldhorns hinzugefügt wurde, um progressiv zu wirken. Wunderbar ist auch die Überlappung von McCartneys Gesang mit der Solostimme des Horns gegen Ende des Liedes (1:28). Es handelt sich hier um klassische Verarbeitungstechniken!




Diese Verwendung von Blasinstrumenten kann man auch in weiteren McCartney-Kompositionen erkennen wie zum Beispiel in „Penny lane“, wo eine Solotrompete hinzugefügt wurde, da McCartney von Bachs zweitem Brandenburgischen Konzert inspiriert wurde, oder in „When I'm sixty-four“, wo ein Klarinettentrio die Begleitung gestaltet.

Ein schönes Beispiel ist auch noch das Lied „Piggies“ von George Harrison (1943-2001) auf dem „White Album“ aus dem Jahre 1968. Dieses Lied mutet barock an und gehört zu dem in den 60ern berühmten Genre „Baroque Pop“. In diesem Lied werden auf ironische Weise Dekadenz und Völlerei behandelt. Es wurde neben einem Streichquartett auch ein Cembalo verwendet, um eine barocke Atmosphäre zu erzeugen, die in Minute 1:06 zu einem wunderbaren klassizistischen Intermezzo führt. Selbst eine künstlichen Coda (Schlussteil) wird voller Ironie am Ende bei 1:55 unter Gegrunze von Schweinen angefügt:




b) Inspiration an klassischen Themen

Es gibt viele Beispiele bei den Beatles, in denen man klassische Passagen entdecken kann. Bereits im Solo des letzten Lieds („Piggies“) konnte man eine ganze Fülle an klassischer Kontrapunktik erkennen. Ein weiteres Beispiel ist das Lied „In my life“ von John Lennon (1940-1980). Als dieser es 1965 komponierte, fehlte ihm noch ein passender Mittelteil und fragte George Martin um Rat. Dieser griff tief in die klassische Trickkiste und zauberte ein Thema hervor, das aus Bachs Inventionen (Sammlung von Übungswerken) stammen könnte. Lennon war begeistert und so kam das zweistimmige Klaviersolo in der Mitte des Lieds (1:29) ganz in barocker Manier zu Stande:




Zu späterer Zeit im Jahre 1969 kurz vor dem Zerbrechen der Beatles hörte Lennon gerne Beethoven und so kam es an einem Abend, dass ihm seine Frau Yoko Ono (*1933) Beethovens „Mondscheinsonate“ am Klavier vorspielte, von der Lennon tief beeindruckt war. Lennon schrieb sofort ein Lied, das sich an der Melodie des ersten Satzes der Sonate inspirierte, diese jedoch invertierte. Dabei entstand das wunderschöne Lied „Because“ vom Album „Abbey Road“. Hier die Klavierversion:




Auf die Spitze wurde das Zitieren und die Verwendung von klassischen Instrumentengruppen aber bereits 1967 mit Lennons Lied „All you need is love“ getrieben. Hier wurde ein ganzes Orchester im Hintergrund verwendet, wo sich Streicher und Bläsergruppen verschiedenst im Laufe des Liedes abwechseln.

Begonnen wird das Lied mit der Melodie der französischen Nationalhymne, worauf der Gesang mit Cembalo-Begleitung einsetzt, der bald von Celloklängen, Bläsergruppen und schließlich dem ganzen Orchesterkörper ergänzt wird. Hierbei wird wohl die allumfassende Gültigkeit der Liebe musikalisch versinnbildlicht.

Bei der Coda (dem Schlussteil) sind wieder zwei klassische Zitate versteckt: Zum einen wird in Minute 2:53 eine Invention von Bach auf der Trompete zitiert und zum anderen wird in Minute 3:14 die Melodie vom Renaissance-Lied „Greensleeves“ (Sölkners Klassik-Kunde berichtete) von den Streichern aufgegriffen, worauf wieder Bachs Invention folgt.

Kurzum: ein liebestrunkenes Wunderwerk voller bunter Farben und Überraschungen, das wir heute auch ganz ohne Drogen genießen können:




c) Beatles und die Polyphonie

Polyphonie? Was war das nochmal schnell?

Keine Sorge, unter Polyphonie versteht man keine Modedroge der 60er, sondern ein mehrstimmiges Werk. Jetzt werden viele sagen, dass es bei den Beatles ohnehin drei brauchbare Stimmen gab, nur der Drummer Ringo Starr (*1940) viel etwas aus der Reihe ... aber das mein ich damit nur indirekt. Es geht um die Überlagerung verschiedener Gesangslinien in einem Lied. Man könnte bei den Beatles von der Krönung der Beschäftigung mit klassischer Musik sprechen, da dies in der Popmusik ebenso selten wie schwierig durchzuführen ist.

Den Beatles gelang dies aber bei zwei Stücken meisterhaft, welche erkennen lassen, dass sie sich brav mit dem Werk von Bach&Co beschäftigt haben. Das erste Stück heißt „She's leaving home“ und befindet sich auf dem Jahrhundertalbum „Sgt. Pepper's lonley hearts club band“ von 1967. Dieses Meisterwerk wird von zarten Harfenklängen eingeleitet, über denen sich McCartneys Gesang entspinnt. Dazu gesellt sich ein Cello, sowie ein ganzes Streichensemble. Im Refrain des Liedes (0:52) wird es zweistimmig: Lennon singt wie aus einem griechischen Chor im Hintergrund eine neue, zusätzliche Melodielinie. Und schon entsteht eine mehrstimmige Passage, welche nur von Harfe und Streichorchester begleitet wird und auf herkömmliche Bandinstrumente wiedermal gänzlich verzichtet.




Hinreißend, nicht wahr? Manche Musikkritiker und zeitgenössischen Komponisten sprechen vom Schubert-Äquivalent unserer Populärkultur … eines der wenigen Lieder, die Lennon und McCartney zu dieser Zeit noch gemeinsam komponiert haben!

Doch diese Meisterleistung gelang den Beatles nicht nur mit klassischer Begleitung. Sie trieben die Mehrstimmigkeit in dem Lied „I've got a feeling“ aus dem Jahre 1969 auf dem Album „Let it be“ auf die Spitze. McCartneys Gesangslinie eröffnet das Lied. Einen kontrastierenden Mittelteil trägt Lennons Gesangslinie bei (2:05). Diese werden bei 2:43 Minute zusammengeführt und kulminieren mit Harrisons Gitarrenstimme sogar in Dreistimmigkeit. Ein meisterhafter Einfall, welchen die klassische Musik zu dem Werk der Beatles beitragen durfte:




Beeindruckend, nicht wahr?

Ich muss aber gestehen, dass es nicht notwendig ist, die klassischen Einflüsse bei den Beatles entschlüsseln zu können und richtig zuzuordnen, um ihre Musik zu lieben. Würde man alles, was ich in diesem Artikel geschrieben habe, vergessen, so bleibt immer noch eines übrig: Verdammt gute Musik, die für sich selbst bestehen kann.

Es handelt sich um Musik, die trotz aller verschiedenster Einflüsse eines geschaffen hat: Ein neues Original!!!

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