Samstag, 23. November 2013

„Impressionismus – Wenn Farbe Klang wird“


Der Begriff „Impressionismus“ klingt sehr kompliziert. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, zunächst zu klären, wo dieses Wort seinen Ursprung hat:

Alles begann in den Frühlingstagen des Jahres 1874 in einem Pariser Salon, wo einige Maler eine Gemäldeausstellung veranstalteten. Einer davon war Claude Monet (1840-1926). Das wäre alles noch nichts Besonderes, doch Monet hatte eine Art zu malen für sich entdeckt, die sich doch sehr von dem herkömmlichen Zeitgeist damals unterschied. Statt klaren Konturen bevorzugte er schemenhafte Gebilde, die in farblich-atmosphärischen Arrangements nebulös ineinander fließen. Monet verließ sich hierbei auf sein subjektives Empfinden, auf seinen subjektiven Eindruck, eben auf seine subjektive Impression. So verwundert es nicht weiter, dass eines seiner Gemälde „Impression soleil levant“ hieß, das einen Sonnenaufgang an einer Küste mit Booten darstellte:



Bis jetzt klingt das alles schön und gut, allerdings kam diese neue Art zu malen bei Kunstkritikern gar nicht gut an. Diese Art von Bildern wurde verrissen und verspottet. Ein Kritiker schrieb sogar in Bezug auf das spezielle Gemälde von Monet:

Eine Tapete im Urzustand ist ausgereifter als dieses Seestück von Monet.“ (Christoph Heinrich: Monet. Taschen, Köln 2006, Seite 32)

Und da dieses Gemälde den Titel „Impression“ trug, wurden die Maler dieses Stils fortan abschätzig als „Impressionisten“ bezeichnet. Da diese Maler-Gilde aber stolz auf ihre neue Poesie der Farben war, wurde dieser Titel als Symbol der Abgrenzung von althergebrachten Maltechniken (wie etwa dem akademischen Klassizismus) übernommen.

Soll das heißen, der Name einer Kunstrichtung hat sich von einem Schimpfwort abgeleitet?

Ja, in der Tat. Das ist aber gar nicht so selten in der Kunstgeschichte. Man denke nur an die Kunstepoche der „Gotik“, die im 12. Jahrhundert ebenfalls in Frankreich entstanden ist. Der Begriff „Gotik“ leitet sich vom italienischen Wort „gotico“ ab, das soviel wie „barbarisch“ oder „fremdartig“ bedeutet (Das hat mit dem ostgermanischen Stamm der Goten zu tun, der im 5. Jahrhundert relativ rücksichtslos in Italien eingefallen ist). Die Italiener wollten mit diesem Begriff lediglich ihre Geringschätzung gegenüber Kunstrichtungen zum Ausdruck bringen, die von ihren antiken Idealen abwichen. Kurzum: Alles, was es nicht schon im alten Rom gegeben hatte, war für die Italiener doof. (Aber das ist eine andere Geschichte!)

Ist ja schön und gut, aber was zur Hölle hat das alles mit Musik zu tun?

Nun, wenn man die impressionistischen Maler betrachtet, welche statt strengen Konturen mehr auf schemenhafte, übergangslose Farbenspiele Wert legten, so kann in der Musik (zeitlich um zirka 20 Jahre versetzt) eine ähnliche Bewegung festgestellt werden. In Paris formte sich ein Komponisten-Kreis, der parallel zur Spätromantik eine ganz eigene Musiksprache fand, welche die Bedeutung der ineinander übergehenden Klangfarben oftmals über die Melodie der Singstimme stellte. Die Melodik gleicht dabei einem wellenförmigen, pendelnden Fluss, der als weicher Klangteppich das Musikstück gestaltet. Hierbei ließen sich die Komponisten von fernöstlichen Tonfolgen inspirieren, welche eine neue Weise von Tonalität (abseits der strengen Dur- und Moll- Tongeschlechter) mit eigenem Regelwerk für sich erschließen und eine exotische, schwebenden Wirkung erzeugen. Auch bei der Rhythmik wurden schroffe Wechsel zu Gunsten eines sich stetig verändernden Klangteppichs vermieden.

An vorderster Front dieser Bewegung stand Claude Debussy (1862-1918), welcher der geistige Vater dieses Paralleluniversums der Tonalität war. Debussy kam mit fernöstlicher Melodik das erste Mal bei der Weltausstellung in Paris 1889 in Berührung und war derart fasziniert davon, dass er sie seiner eigenen Musiksprache einverleibte. Das war die Geburtsstunde des musikalischen Impressionismus. Die schwebende, weiche Wirkung von Debussys Musik wurde weltbekannt und beeinflusste viele weitere Komponisten. Debussy sah sich selbst genau wie Monet als ein Maler (nur in diesem Fall von Klängen und Tönen), der einen Kompromiss zwischen Natur und Imagination suchte.

Doch genug der vielen Worte! So hört sich ein frühes Werk von Debussys Tonmalerei an:



Ich hoffe, ich bin nicht der Einzige, der bei Klängen wie von „Claire de lune“ etwas ins Träumen gerät!

Debussy entwickelte seine Tonsprache sehr schnell weiter und schrieb einige Werke, die fast ausschließlich auf exotischen Tonfolgen basierten. Eine solche ist beispielsweise die Ganztonleiter, bei der die Tonschritte nur aus großen Sekunden bestehen. Das bedeutet: Wenn man eine Klaviatur vor sich hat, darf man beim Spielen dieser Tonleiter (egal wo man beginnt) nur Ganztonschritte verwenden. Somit fehlen die Halbtonschritte, welche für Dur und Moll notwendig wären, und schon kommt ein exotisches, fremd anmutendes Klangbild dabei heraus, das unseren üblichen Tonleitern enthoben ist.

Ein weiteres Beispiel wäre die Pentatonik (die Fünf-Tonmusik): Man versuche auf einer Klaviatur lediglich die fünf schwarzen Tasten zu spielen. Egal wie man es anstellt, es wird immer fernöstlich klingen.

Versucht es! Ihr werdet überrascht sein!

Und wenn ein Meister der Klangfarben wie Debussy ein Musikstück rein in Ganztonleiter komponiert, dann klingt das so:



Klingt schon sehr entrückt, nicht wahr? Schwebende Klangfarben ohne Kontur ...

Doch es gibt auch weniger extreme Beispiele des Impressionismus. Ein weiterer impressionistischer Großmeister namens Maurice Ravel (1875-1937) komponierte zum Beispiel ein wunderschönes Werk mit dem Namen „Pavane pour une infante défunte“ („Pavane für eine verstorbene Prinzessin“), das tiefromantisch beginnt, aber sehr schnell in impressionistische Sphären übergeht (und zwar bei Minute 0:31) und dann immer wieder zwischen diesen beiden Stilen alterniert:



Eine Pavane war ein spanischer Gesellschaftstanz aus dem 16. Jahrhundert, der hier nur mit etwas Mühe hineininterpretiert werden kann. Und wenn jemand den Titel von diesem Meisterwerk interpretieren möchte, so rate ich zur Vorsicht. Dieses Klavierstück wurde zwar einer Prinzessin gewidmet, doch lebte diese noch relativ lebendig weitere vierzig Jahre. Einmal soll Ravel lapidar gesagt haben, man solle den Titel nicht zu sehr hinterfragen, er mochte einfach den Klang der Worte!

Ja, so sind sie, die Impressionisten … der Klang ist alles!

Aber der Impressionismus fand nicht nur am Klavier Entfaltung. Weltbekannt und wild umstritten wurde der Impressionismus 1894 durch die Uraufführung eines Orchesterwerks von Debussy mit dem wunderschönen Namen „Prélude à l’après-midi d’un faune“ („Vorspiel zum Nachmittag eines Faunes“).

Eine sehr berechtigte Frage wäre nun: Was zum Geier ist ein Faun?

Da musste auch ich kurz nachschlagen: Der Faun ist ein wolfsähnlicher Gott der indogermanischen Einwanderer in Italien und gilt als Beschützer der freien Natur, der Hirten und der Bauern. Sollte man sich eine Ziegen- oder Schafherde in Italien zulegen wollen, sollte man diese Gottheit anbeten. Größere Berühmtheit hat seine Schwester oder Frau (oder beides!?) erlangt, die Fauna hieß und heute noch als ein Synonym für die Tierwelt gilt.

Aber das ist eigentlich alles gar nicht so wichtig, um diese Musik zu genießen und in eine Sphäre einzutauchen, die sich voll und ganz der impressionistischen Farbenwelt hingibt und als erster großer Meilenstein dieser Epoche gilt:



Abschließen möchte ich diesen Artikel mit einem Werk, das jeder kennt, auch wenn die Musik nicht unmittelbar geläufig ist. Es handelt sich um die sinfonische Dichtung „Der Zauberlehrling“ von einem weiteren impressionistischen Meister namens Paul Dukas (1865-1935), das uns als "Kehraus" dieses Artikels dienen soll. In diesem Werk wechseln sich impressionistische Klangsphären mit spätromantischen Einfällen auf witzige Weise ab. Darüber hinaus konnte durch Walt Disney diese Tondichtung in jedes Kinderzimmer Einzug halten und jedes Kinderherz im Sturm erobern:




Wer das letzte Video bis zum Ende gesehen hat, der könnte die Impression haben, dass das Wort „Kehraus“ für diesen Artikel durchaus wörtlich gemeint ist.

So ist das, wenn Klang nicht nur Farbe, sondern gleich ein ganzer Zeichentrickfilm wird ... 

1 Kommentar: