Montag, 30. Dezember 2013

"Silvester – Ein Fest nicht nur für Pauken und Trompeten"


Liebe Freunde der klassischen Musik,

Der Blog-Gründer Lukas Sölkner übertrug mir die ehrenvolle Aufgabe, festliche Musik für den Jahreswechsel zusammenzustellen. Ich nehme diesen Artikel gerne in Angriff, obwohl ich gestehen muss, dass ich nicht sonderlich viel klassische Musik, die rein für den Jahreswechsel komponiert wurde, kenne. Natürlich sind einige Kantaten für Neujahr von Johann Sebastian Bach (1685-1750) bekannt. Man muss allerdings dazu sagen, dass Bach hierbei weniger korkenknallenden Champagner und ein festliches Feuerwerk im Sinn hatte!


Bach feierte nämlich als tiefgläubiger Christ zu Neujahr immer die Beschneidung des Herrn (Circumcisio Domini), die acht Tage nach dessen Geburt stattgefunden haben soll. In vollem Bewusstsein, dass viele dieses Fest nicht im Sinn haben, wenn das Jahr die Stunde Null erreicht, kann man diese Musik aber dennoch hören und genießen. Wie zum Beispiel die sehr festliche Neujahrskantate „Jesu, nun sei gepreiset“, BWV 41:




Aber, um nicht zu sehr in religiöse Gefilde zu geraten, wenden wir uns nun weltlicheren Anlässen für festliche Musik zu. Einer dieser Anlässe war beispielsweise das Ende des österreichischen Erbfolgekrieges 1748. Dieser hat zwar rein gar nichts mit Neujahr zu tun, ist aber dennoch untrennbar mit dem feierlich-silvesterlichen Feuerwerk verbunden. Da dieses Kriegsende Frieden für Europa bedeutete, ließen viele Könige festliche Musik komponieren. Einer davon war der englische Monarch George II., dem ein großes Open-Air-Konzert mit einem gigantischen Feuerwerk vorschwebte.

Zufällig hatte George einen nicht besonders untalentierten Namensvetter als Hofkomponisten: Georg Friedrich Händel (1685-1759). So kam es, dass dieser sein gigantisches Werk „Music for the Royal Fireworks“, die Feuerwerksmusik (HWV351), komponierte und unter freiem Himmel zur Aufführung brachte. Das Wetter soll allerdings miserabel gewesen sein und der richtige Einsatz für das Feuerwerk wurde angeblich verpasst. Es entstand dennoch ein Stück Musikgeschichte, das feierlicher kaum sein könnte:




Natürlich bedarf es nicht immer große Orchester, um einen Anlass voll Würde und Erhabenheit zu begehen. Man kann sich auch auf die kleine Form am Klavier beschränken. Dies bewies Domenico Scarlatti (1685-1757), der sich im frühen 18. Jahrhundert in Rom gerne mit Händel am Cembalo und an der Orgel duellierte. Ein unvergessliches Werk Scarlattis ist seine festliche Sonate in D-Dur, K.491:




Um aber von den 1685er Jahrgängen wie Bach, Händel und Scarlatti (lustiger Zufall!) weg zu kommen, kann auch in der Romantik sehr feierliche Klaviermusik entdeckt werden. Wie wäre es zum Beispiel mit Frédéric Chopins (1810-1849) unsterblicher Polonaise, op.53, auch „die Heroische“ genannt:
 



Mein Mitleid mit dem Klavier wechselt sich bei diesem Stück stets mit ehrfürchtiger Bewunderung ab.

Aber keine Angst, auch in der Romantik gab es feierliche Musik für ein volles Orchester. Man nehme einfach ein kleines Schmankerl für Filmliebhaber, das ab Minute 4:20 jeder kennen wird. Der Komponist dieses Werkes ist der wunderbare Gioacchino Rossini (1792-1868), der mit 37 Jahren und nach 39 Opern dem Komponieren für immer den Rücken zuwandte und sich nur noch mit Kochen und Essen beschäftigte.

Von Rossini stammt auch der wunderbare Satz:

Ich gebe zu, dreimal in meinem Leben geweint zu haben: als meine erste Oper durchfiel, als ich Paganini die Violine spielen hörte und als bei einem Bootspicknick ein getrüffelter Truthahn über Bord fiel.“

Mir blutet das Herz und hier ist seine feierlichste aller Ouvertüren „La gazza ladra“:




Wenn es allerdings um festliche Musik für den Jahreswechsel geht, kommt man um eine Art von Musik nicht herum, dem Walzer. Die meisten Österreicher begehen das neue Jahr im Tanzschritt mit ihrer oder ihrem Liebsten und zeigen so, dass sie schwungvoll zu neuen Taten im neuen Jahr schreiten wollen.

Ich möchte mit den zwei beliebtesten Wiener Walzern schließen. Der erste Wiener Walzer ist (wie könnte es anders sein) von einem Russen. Es ist der „Blumenwalzer“ von keinem Geringeren als Pjotr Iljitsch Tschaikowski (1840-1893) aus dessen Ballett „Der Nussknacker“:




Und sollte ich jetzt alle puristischen Freunde des Wiener Walzers gekränkt haben, hier die geheime Nationalhymne Österreichs, mit der Millionen von Österreichern das neue Jahr begehen werden.

Es ist natürlich der „Donauwalzer“ von Johann Strauss Junior (1825-1899):
 



Ich hoffe, dass die Musikauswahl (dem Anlass entsprechend) feierlich genug war und bedanke mich für die Chance, diesen Artikel gestalten zu dürfen.

Sölkners Klassik-Kunde wünscht allen einen guten Rutsch und ein glückliches neues Jahr!!!

Johannes Clemens Denton und Lukas Sölkner

Samstag, 21. Dezember 2013

"Weihnachten - Der Klang des Glaubens"


Weihnachten naht in großen Schritten. Grund genug, dass auch Sölkners Klassik-Kunde einen Teil zu dieser festlichen Zeit beiträgt. Doch bevor wir uns ganz den Ursprüngen von weihnachtlicher Musik zuwenden, möchte ich zunächst eine kleine atmosphärische Einstimmung bieten, die sich ganz der klirrenden Kälte des Winters (Minute 0:00 in der Hörprobe) und des poetischen Treibens von Schneeflocken (3:44) verschrieben hat (auch wenn das Wetter in Mitteleuropa oft nicht ganz verträglich mit weißen Weihnachten ist).

Es handelt sich hierbei um das weltbekannte Konzert RV 297 „Winter“ aus „Die vier Jahreszeiten“ von Antonio Vivaldi (1678-1741):




Doch steigen wir nun etwas tiefer in die Materie ein und gehen zu den Ursprüngen unserer heutigen Musik zurück: in die Renaissance des auslaufenden 15. Jahrhunderts. Es war eine wilde Zeit, wo Glaube kaum an die Kirche gebunden war. Damals konnte man Kardinal ohne Priesterweihe und nur durch Bestechung und Vetternwirtschaft werden. Das Amt des Papstes erlangte meist derjenige, der die erfolgreichsten Auftragsmorde durchführen ließ und genug Geld hatte, um potentielle Feinde milde zu stimmen. Die Päpste hatten meist viele Geliebte sowie Kinder und nutzten den Weg der Heiratspolitik gleichermaßen wie den der kriegerischen Feldzüge. Dass leichte Damen, Lustknaben, Arsenproduzenten und Weinbauern damals Hochkonjunktur hatten, ist selbstredend ... -

DENNOCH entstanden zu dieser Zeit Kunstwerke, die tief im Glauben verwurzelt waren und sich bewusst von der Verdorbenheit und Perversion der politischen Realität der Zeit absetzten. Dadurch entstand eine Polarität, die kaum mit sich zu vereinbaren war und ist: Auf der einen Seite vollendete, tiefsinnige Kunst und auf der anderen Seite Korruption, Intrige, Mord. Diese Ambivalenz war symptomatisch für die Zeit der Renaissance und ich denke, genau aus diesem Widerspruch schöpft diese Epoche, die in vieler Hinsicht bis heute unübertroffen ist, ihre Faszination und ihre Einzigartigkeit. Und das eigentlich Spannende ist, dass die Verdorbenheit der Zeit nie etwas der Kunst anhaben konnte. Unbeschadet hat die Kunst jeden weltlichen wie geistlichen Herrscher überlebt und den Menschen stets das gegeben, wozu die Herrscher selten fähig waren: Inspiration, Glauben und Hoffnung!

Wie gerne würde ich jetzt ausschweifend über Leonardo da Vinci, Botticelli, Michelangelo, Raffael, Tizian, Bronzino, Bramante, Brunellschi, Donatello (und wie sie alle heißen) berichten … aber wir befinden uns auf einem Klassik-Blog und deshalb sei hier ein zeitgenössischer Komponist jener Meister vorgestellt: der wunderbare Renaissance-Komponist Josquin Desprez (um 1450 – 1521).

Ich gebe gerne zu, dass Desprez nicht ganz so bekannt ist wie die anderen oben genannten Meister, dennoch ist ihm ein Werk gelungen, das sich nicht verstecken muss und die Musiksprache revolutioniert hat. Er hat maßgeblich an der Entwicklung der Polyphonie mitgewirkt und Werke von zeitloser, ewig gültiger Schönheit komponiert. Seine unerschöpfliche Kraft an melodischer Inspiration verschaffte ihm den Beinamen „Schubert der Renaissance“. Ob dieser Vergleich hilfreich ist, wage ich zu bezweifeln. Nichtsdestoweniger möchte ich eines seiner Werke nun vorstellen: „Praeter rerum seriem“. Es handelt sich um einen Lobgesang zu Ehren der Geburt von Jesus. Die Mystik und Spannung dieses Werkes sind einzigartig. Das war wohl auch der Grund, weshalb es im Rom der Renaissance meist den Beginn von weihnachtlichen Messen gestalten durfte:




So mystisch kennt man Weihnachtsmusik sonst nicht, nicht wahr?

Diese Art Ehrerbietung von der Geburt Jesu zieht sich durch alle späteren Epochen. Allerdings ändert sich diese der Musiksprache entsprechend. Eine der bekanntesten Lobpreisungen schrieb wohl im Barock Georg Friedrich Händel (1685-1759) für sein Meisterwerk „Messiah“. Die Arie "For unto us a Child is born“ gehört zu den bekanntesten der Musikgeschichte, wird immer wieder in unserer Populärkultur verwendet und lässt hoffentlich nicht nur mein Herz höher schlagen:




Ja, hierbei handelt es sich um eine sehr glückliche Eingebung von Händel!

Um noch eine dritte Art von musikalischer Lobpreisung ins Spiel zu bringen, sei auf pastorale Hirtengesänge verwiesen, die rein instrumentaler Natur sind.

Was haben Hirten mit Jesus Geburt zu tun?

Man wende sich zur Recherche einfach mal der nächsten Weihnachtskrippe zu und verstumme für immer!


Den bekanntesten Hirtengesang komponierte der große Johann Sebastian Bach (1685-1750) für sein meisterhaftes Weihnachtsoratorium, das aus sechs Teilen besteht, wovon die ersten drei die Weihnachtsfeiertage thematisieren. Der Hirtengesang bildet die Einleitung des zweiten Teils und gehört zu einem der schönsten Orchestersätze, die Bach je geschrieben hat:




Ein weiterer, sehr beliebter Hirtengesang stammt von Arcangelo Corelli (1653-1713) aus seinem Weihnachtskonzert op.6 Nr.8:




Schließen möchte ich mit einem romantischen Werk des französischen Meisters César Franck (1822-1890). Es handelt sich um „Panis angelicus“ und auch in diesem Werk zeigt sich die Stärke der Kunst, die etwas Reines, Unantastbares durch viele Jahrhunderte und durch viele Verdorbenheiten vergangener Zeiten hinweg uns auch heute noch unbeschadet schenkt. Dabei wird etwas transportiert, das wir zwar nicht benennen können, sehr wohl aber vollends in uns aufnehmen. Und wenn wir dies erkennen, ist das wohl die ehrlichste und reichste Grundlage, um in sich zu kehren und von innen nach außen zu hören, um in Einklang mit seinen Lieben Weihnacht zu feiern und ein Teil der Besinnlichkeit zu sein.

Auf diesem Wege wünscht Sölkners Klassik-Kunde eine frohe und besinnliche Weihnachtszeit!




Montag, 16. Dezember 2013

Special: „Kaisers Klassik-Kunde“


Da in den nächsten Tagen die Geburtstage des großen Musikkritikers Joachim Kaiser (*18.12.1928) und des Blog-Gründers Lukas Sölkner (*16.12.1986) stattfinden, ist es an der Zeit, einen kleinen Blick in die Vergangenheit zu werfen.

Die sehr unterschiedlichen Bildungs- und Lebenswege dieser beiden Freunde der klassischen Musik kreuzten sich des Öfteren im Rahmen von „Kaisers Klassik-Kunde“, einer Kolumne der Süddeutschen Zeitung, die Joachim Kaiser von 2009-2011 mit viel Hingabe und Sensibilität betreute. Hier beantwortete Kaiser Fragen von interessierten Klassikhörern im Rahmen einer Videobotschaft. Dieses Format erlangte sehr schnell Kultstatus und auch Lukas Sölkner durfte einen bescheidenen Beitrag dazu leisten.


Eine Auswahl der vier beliebtesten und vielzitierten Kolumnen-Beiträge von „Kaisers Klassik-Kunde“ sollen hier als Hommage an Joachim Kaiser noch einmal präsentiert werden.

„Sölkners Klassik-Kunde“ wünscht Joachim Kaiser auf diesem Wege alles erdenklich Gute und dankt für die vielen interessanten Korrespondenzen auf dem weiten Feld der klassischen Musik!

a) „Beethovens Boogie-Woogie“ oder „Die letzte Klaviersonate Beethovens“




b) „Zu früh gestorben?“ oder „Schuberts Spätwerk“




c) „Sinfonie mit Spitznamen“ oder „Fremdbetitelung in der klassischen Musik“




d) „Lieben Sie Brahms?“ oder „Brahms – Genie oder Epigone?“




Freitag, 13. Dezember 2013

„Der spanische Klang – Geschichte eines Missverständnisses“


Vor wenigen Wochen saß ich mit zwei Spaniern und einem kunstsinnigen Gitarristen bei einem Glas Rioja beisammen und sinnierte über die spanische Kunst. Nach einigen Gläsern Wein kamen wir auf die spanische Musik zu sprechen. Ich erkannte sehr schnell, dass ich herzlich wenig darüber wusste. Nicht so mein kunstsinniger Freund: Stolz stand er auf, nahm seine Gitarre in die Hand und sagte, dass er drei typisch spanische Melodien kenne und nun spielen möchte. Dies tat er dann auch voller Leidenschaft und summte laut mit.


Nachdem er endete und stürmischen Beifall erwartete, erhielt er von den Spaniern nur Spott und Hohn, und auch ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.

Der Grund hierfür war aber keinesfalls seine schwache Performance, nein, der Grund lag ganz wo anders. Nachdem der Freund auf die tiefe Gültigkeit dieser spanischen Melodien beharrte, begann ich zu verstehen, dass es sich hierbei um ein Missverständnis handeln musste, dem ein Großteil der Welt unterliegt und für den wahren Spanier schmerzlich sein muss.

Die drei „spanischen“ Melodien stammen aus dem selben Werk: In diesem erklingt zu Beginn die Musik eines spanischen Volksfestes, später die Hymne eines Toreros (1:05) und ein andalusisch-maurisches Schicksalsmotiv (2:11)!




Man könnte in der Tat meinen, dass es sich hier um die reinste Form des spanischen Klangs handle.

Wer sich dieser Ansicht weiterhin hingeben möchte, dem sei sie unbenommen. Für alle anderen folgt nun eine Klarstellung.

Ja, die Mehrheit hätte man auf seiner Seite. Wenn man diese Hörprobe als spanische Musik ausgibt, so wird man beinahe auf der ganzen Welt Zustimmung finden. Es gibt lediglich zwei Ausnahmen, welche sehr irritiert und ablehnend auf diese Feststellung reagieren werden: Spanier und Musikkenner!

Warum lehnen ausgerechnet die Spanier spanische Musik ab?

Ganz einfach: Weil es sich bei der Hörprobe um die Ouvertüre einer der größten französischen Nationalopern namens „Carmen“ handelt, welche zufällig in Spanien (Sevilla/Andalusien) spielt. Die Musik ist daher eine typisch französische, die spanischen Klang zu imitieren versucht. Das gelang dem Komponisten Georges Bizet (1838-1875) auch sehr gut, weshalb die Oper (leider erst nach Bizets Tod) ein weltweiter Erfolg wurde und heute zu den am häufigsten aufgeführten Opern der Welt gehört. Da Bizet jedoch Spanien nie besucht hatte und diese Kultur nur sehr flüchtig kannte, gelang ihm zwar ein Opernmeisterwerk aber keine authentische spanische Musikstudie. Es wird fast keine spanische Folklore verwendet, sondern nur mit spanischen Wendungen gespielt. Selbst ein Angebot, dass Bizet nach Spanien zur musikalischen Recherche fahren solle, lehnte er entschieden mit den stolzen Worten ab: „Das würde meine Musik behindern!“

Da aber auch die Spanier ein Volk mit hohem Nationalbewusstsein sind, ist das wohl der Grund, warum viele die Bemühungen um den spanischen Klang von Bizets Oper eher belächeln als bewundern. Aber das soll uns nicht weiter belasten!

Sicher ist, die spanische Kultur und die spanische Folklore sind wunderschön und sehr viel älter als Bizets Bemühungen um den spanischen Klang. Speziell im 16. Jahrhundert als Spanien noch das Land der nie untergehenden Sonne unter der Herrschaft von Karl V. und dessen Sohn Phillip II. war, erlebte die spanische Musik eine Blühte, welche für die abendländische Kultur sehr prägend war. Besonders Werke für Laute und Vihuela (ein der Laute verwandtes Instrument) erfreuten sich am Hofe größter Beliebtheit.
 
Allerdings ist die Autorenschaft mancher Werke bis heute meist umstritten und oft als „anonym“ angegeben. Doch die Musik ist erhalten und so besitzen wir heute noch unsterbliche Werke wie „Guardame las vacas“, das wohl eine der musikalisch wertvollsten Aufforderungen ist, auf die Kühe aufzupassen:




Doch auch Tänze waren am spanischen Hofe sehr beliebt wie die folgende „Pavanilla“. Treue Leser von Sölkners Klassik-Kunde werden hier Grundzüge einer „Folia“ wiedererkennen:




Aber mal ehrlich: Wenn wir an Spanien denken, verbinden wir damit meist eine feurig-laszive Schönheit (männlich oder weiblich), der Verführung mit Leichtigkeit ein leidenschaftliches Spiel ist.

Auch so etwas gab es in der Musik am Renaissance-Hofe Spaniens:




Und schon sind wir wieder bei der Oper „Carmen“, denn genau um eine solche Person dreht sich die Handlung. Wenn wir die Verführungsarie Carmens hören, in der ein anfangs pflichtgetreuer Wächter, der sie verhaften sollte, ihr willenlos verfällt, so können wir die tolle Arbeit Bizets bewundern. Es ist hierbei wirklich ein beeindruckendes, intensives Imitat des spanischen-andalusischen Klangs gelungen. Wir hören eine heißblütige Frau, die nicht mit ihren Reizen geizt und eine andalusische Melodie über laszive, stoßartige Rhythmik legt.



Und da soll noch einer sagen, Oper sei fad und angestaubt ... Um so prall gefüllte Dekolletés zu bewundern, muss man in die französische Oper gehen!

Diese Arie ist ein Meisterstück. Aber wohlgemerkt: Es handelt sich um die geistige Schöpfung eines feuchten Traumes Bizets, der auf keine spanische Folklore zurückgeführt werden kann. Dennoch sagen hier viele zu Recht: Wenn es schon keine spanische Musik ist, man könnte diese nicht besser erfinden …

Die bekannteste Arie aus der Oper, Carmens „Habanera“, ist ein leidenschaftliches, laszives Geständnis einer Frau, die sehr viel Liebe an sehr viele Männer zu vergeben hat und besitzt den gleichen Rhythmus wie ein Tango. Die Melodie lässt sich auf ein Musikstück von Sebastian de Iradier (1809-1865) zurückführen, der diesen Rhythmus auf Kuba kennengelernt hat. (Das Wort „Habanera“ leitet sich von der Hauptstadt Kubas, Havanna, ab!) Somit handelt es sich hier nicht einmal beim Original um ein echtes spanisches Stück, sondern kommt von Übersee.

Wie auch immer, es wurde von Bizet jedoch neu und originell orchestriert:




So ist das also … nicht alles, was spanisch klingt, ist auch aus Spanien!

So ist es auch mit dem wunderbaren Luigi Boccherini (1743-1805), seines Zeichens Italiener. Allerdings ließ er sich in Spanien nieder und studierte die spanische Tanzmusik. Heraus kam eines der exotischsten Kammermusikwerke: ein Quintett für Gitarre und Streicher. Dieses hat sich ganz dem spanischen Tanz „Fandango“ verschrieben:




Olé!!!!

Ich hoffe, ich bin jetzt nicht der einzige gewesen, der versucht hat, wie ein Torero im Zimmer herum zu springen.

Aber leider war Boccherini ein typischer Italiener klassischer Schule. Somit ist unsere Suche nach dem spanischen Klang noch nicht ganz beendet!

Und jeder, der jetzt aufspringt und laut schreit, dass der Bolero von Maurice Ravel (1875-1937) ein typisch spanisches Werk sei, der sei belehrt, dass auch Ravel eher Franzose war.

Man sieht, wie weit dieses Missverständnis des wahren spanischen Klangs verbreitet ist!

Da ich aber nicht möchte, dass meine begeisterten spanischen Leser zu kurz kommen, will ich mit echten spanischen Klängen des spanischen Komponisten Joaquín Rodrigo (1901-1999) schließen, dem im 20. Jahrhundert ein zeitloses Meisterwerk gelungen ist, das mit Fug und Recht als spanisches Original bezeichnet werden kann:




Dienstag, 10. Dezember 2013

3. "Die Oper und das Leitmotiv" - Puccinis "Tosca"


Um es gleich offen auszusprechen: „Tosca“ gehört nicht nur zu den musikalischen Höhepunkten der Opernliteratur, sondern auch zu den spannendsten Thrillern der Musikgeschichte. Es handelt sich hier um den wohl bekanntesten Erotik-Thriller, der es je auf die Opernbühne geschafft hat. Zu danken ist hierfür zunächst den beiden Schriftstellern Giuseppe Giacosa (1847-1906) und Luigi Illica (1857-1919), die das Libretto zu „Tosca“ geschrieben haben. Das Kompositionsgenie Giacomo Puccini (1858-1924) tat das Seine, um die starke Handlung effektvoll und würdig in Musik umzusetzen. Dabei ist ein Meisterwerk entstanden, das einen unvergänglichen Platz am Opernhimmel gefunden hat.


Ehrlich gestanden, sollte man diese Oper in einem Zuge selbst anhören, anstatt sie im Rahmen eines Artikels auf Leitmotive zu zerlegen. Trotzdem versuche ich eine Idee von der Genialität dieser Oper mit meinen schwachen Worten (aber guten Hörbeispielen) zu vermitteln.

Zunächst sei die Vorgeschichte erwähnt, um den Handlungskontext erahnen zu können:

Wir befinden uns in der Zeit nach der französischen Revolution. Napoleon hat in Frankreich bereits das Ruder übernommen und versucht durch ständige Feldzüge sukzessiv seine Macht in Europa zu festigen. Besonderer Feind stellt hierbei das zentral gelegene Österreich, das zu jener Zeit von den Habsburgern regiert wird, dar. So kommt es, dass Napoleon in das damals zu Österreich gehörende Norditalien einmarschiert und dieses auch erobert. Siegessicher, wie Napoleon war, gelingt es ihm des Weiteren sogar die Dogen von Venedig abzusetzen und den Papst aus Rom zu vertreiben. So wird aus dem Kirchenstaat im Frühjahr 1798 die „römische Republik“. Einer der Stadthalter in dieser jungen Republik heißt Angelotti, ein Napoleon-Treuer und Schlüsselfigur der Oper.

Allerdings gefällt die neue Republik dem Königreich Neapel im Süden gar nicht und dieses beschließt Rom zurückzuerobern und erklärt den Krieg. (Der König von Neapel war nämlich mit einer Habsburgerin verheiratet und somit ziemlich gegen Napoleon eingestellt.) Nach einigem Hin und Her besetzt Neapel 1799 Rom und wirft die Stadthalter der Republik (darunter auch Angelotti) ins Gefängnis der Engelsburg, das unter der Aufsicht des Polizeichefs Scarpia steht, der skrupellos ehemalige Republikaner verfolgt und hinrichtet. Und in diesem historischen Kontext beginnt eine der größten Opern der Welt …

Der erste Akt beginnt mit der Flucht von Angelotti aus der Engelsburg, der sich in der Gruft seiner Familie in einer Kirche Roms verstecken möchte. In dieser Kirche malt sein Freund und Gesinnungsgenosse Mario Cavaradossi zurzeit zufällig auch ein Altargemälde.

Gleich zu Beginn der Oper kann man sehr dicht aufeinanderfolgende Leitmotive erkennen.

Puccini nimmt die Leitmotiv-Technik zwar nicht ganz so ernst wie Richard Wagner (1813-1883), verwendete sie aber häufiger und gewissenhafter als Spannungselemente wie Giuseppe Verdi (1813-1901). Man kann überspitzt sagen, Puccini ist die schönste Frucht der mühsamen Vorarbeit der beiden Älteren. Puccini geht bei den Leitmotiven sogar so weit, dass er jeder Person ein eigenes Thema zuordnet. Ein paar sehr prägnante werden uns in diesem Artikel begegnen.

Die Oper beginnt ohne Ouvertüre mit mächtigen, martialischen Akkorden, welche die Schreckensherrschaft von Scarpia darstellen sollen. Es handelt sich hierbei um das Scarpia-Motiv. Diesem folgt in Minute 0:08 der Hörprobe das gehetzte Motiv des sich auf der Flucht befindlichen Angelottis. Diese Themen werden sich durch die ganze Oper hindurchziehen und sowohl bei Erscheinen der Personen das Klangbild prägen als auch, wenn nur die Rede von ihnen ist. Das belegt auch schon die Anfangssequenz, in der Angelotti den heimlich hinterlegten Schlüssel zur Familiengruft sucht. Man achte auf das immer wiederkehrende Angelotti-Motiv in der Hörprobe:




Cavaradossi verspricht Angelotti bedingungslose Hilfe und möchte ihn in einem Geheimversteck im Brunnen des Gartens seiner Villa verstecken. Allerdings werden beide, als sie die Kirche verlassen wollen, von Tosca, der Geliebten von Cavaradossi, gestört, welche dieser von Weitem schon seinen Namen frenetisch schreien hört („Mario, Mario, Mario!!!“). Da Cavaradossi zwar Tosca von Herzen liebt, aber befürchtet, dass sie ein Geheimnis nicht sonderlich gut für sich behalten könne, beschließt er, ihr nichts von Angelottis Flucht zu erzählen und versteckt Angelotti vor ihr. Als Tosca dann die Bühne betritt (0:09), erklingt das weltbekannte und wunderschöne Tosca-Thema, das die Oper ebenfalls durch jeden Akt begleiten wird und zu einem der berühmtesten Liebesmotiven der Musik avancierte.




Dass Cavaradossi die Flucht Angelottis vor Tosca geheim halten möchte, ist zwar prinzipiell eine gute Idee, leider ist die gute Tosca krankhaft eifersüchtig und vermutet sofort eine heimliche Geliebte hinter Cavaradossis hektischem, ausweichendem Verhalten. Cavaradossi gelingt es schließlich doch, Tosca zu beruhigen und abzuwimmeln und geht mit Angelotti ab zum Geheimversteck im Brunnen.

Nach einer Weile tritt der böse Polizeichef Scarpia mit seinem Gefolge auf, der versessen auf der Suche nach dem Flüchtigen Angelotti ist. Die Tatsache, dass in dieser Kirche sich die Gruft von Angelottis Familie befindet, hat Scarpia hergeführt und weitere Indizien erhärten Scarpias Verdacht, dass dieser von Cavaradossi gedeckt wird. Als schließlich Tosca wieder auftaucht, spielt Scarpia so mit den Gefühlen der eigentlich unwissenden Tosca, sodass er ihre Eifersucht wegen einer vermeintlichen Geliebten Cavaradossis derart schürt, sodass Tosca schnurstracks zu dessen Villa läuft, um diesen zur Rede zu stellen. Scarpia befiehlt seinen Lakaien, ihr heimlich zu folgen, um mögliche Geheimverstecke ausfindig zu machen und sowohl Angelotti als auch Cavaradossi gefangen zu nehmen.

Kluger Zug von Scarpia, nicht wahr?! Er benutzt die Gefühle der sensiblen, naiven Tosca, um seinen eigentlichen Plan zu verfolgen und dem Ziel, Republikaner zu töten, näher zu kommen. 

Nachdem Tosca voller (ungerechtfertigter) Eifersucht aus der Kirche gelaufen ist, offenbart sich Scarpias wahre Absicht: Angelotti und Cavaradossi zu exekutieren und Tosca als seine eigene Geliebte zu nehmen. Dieser finstere Plan wird als bombastischer, morbid-triumphaler Trauermarsch inszeniert, der zu den gewaltigsten Aktabschlüssen der Operngeschichte gehört. Man achte auf die vielen versteckten, aber uns schon bekannten Leitmotive (zu Beginn beispielsweise das Angelotti-Motiv und am Ende das Scarpia-Motiv):




Geil, nicht wahr?

Ende des ersten Akts! Der zweite Akt beginnt ebenso unversöhnlich wie der erste Akt aufhört! Dieser spielt in Scarpias Büro im Palazzo Farnes, einem der wohl schönsten Renaissance-Paläste der Welt.

Doch bevor ich versuche die weitere Handlung wiederzugeben, eine kurze Erklärung, was in der Zwischenzeit passiert ist:

Tosca stürmte tobend in die Villa von Cavaradossi und machte ihm schwere Vorwürfe. Cavaradossi konnte Tosca zwar beruhigen, aber nur mit dem Preis, ihr über Angelotti und dessen Versteck als Beweis zu erzählen, dass keine Geliebte im Spiel war. Scarpias Männer stürmten darauf ebenfalls die Villa und durchsuchten sie nach Angelotti, den sie allerdings nicht finden konnten. Unabhängig davon nahmen sie Cavaradossi fest und führten ihn zu Scarpia ins Büro in den schönen Palazzo Farnese.
Dort wollen sie nun Cavaradossi unter Folter zum Reden bringen, was vorerst nicht gelingt. Erst als Scarpia Tosca das Geschrei Cavaradossis unter Folter hören lässt, wird diese schwach und verrät das Geheimversteck Angelottis im Brunnen. Scarpia lässt die Folter Cavaradossis beenden. Cavaradossi hingegen ist Tosca nicht dankbar, sondern verurteilt nun Tosca als Verräterin, da sie seinen Freund Angelotti verraten hat. (Er hat also ursprünglich gut daran getan, Tosca nichts von der Flucht zu erzählen, da sie offensichtlich wirklich das schwächste Glied in der Kette ist). Im selben Moment kommt ein Bote herein und verkündet den Sieg Napoleons über das habsburgische Heer bei Marengo. Somit sind die Stunden der Schreckensherrschaft Scarpias gezählt, was diesen aber nicht davon abhält, Cavaradossis und Angelottis Hinrichtung auf der Engelsburg zu befehlen. Cavaradossi, der ja selbst leidenschaftlicher Republikaner ist und durch den Sieg Napoleons wieder Hoffnung sieht, wird unter leidenschaftlichen Siegeshymnen abgeführt. Toscas Schmerz, da Cavaradossi sie nun wegen ihres Verrats durch Liebe verachtet, findet natürlich auch ein Motiv bei 0:55. Das ist ganz große Oper!!!




So bleiben Tosca und Scarpia alleine zurück. Scarpia macht Tosca ein Angebot: Wenn sie mit ihm die Nacht verbringe, würde er eine Scheinexekution Cavaradossis arrangieren und den beiden einen Passierschein ausstellen, damit beide Rom verlassen können. Tosca leidet unter der Vorstellung, dass sie ihren Körper hergeben müsse, um das Leben ihres Geliebten, der sie nun verachtet, zu retten. In dieser tragischen Situation singt sie eine der bekanntesten Arien der Oper, um ihr Leid zu schildern. Diese wird von dem Tosca-Thema aus dem ersten Akt melodisch getragen und gilt als Glanzstück des Repertoires:




Tosca willigt auf Scarpias Angebot ein, bittet diesen aber, zunächst den Befehl für die Scheinexekution zu geben sowie den Passierschein auszustellen. Gesagt, getan! Scarpia ruft einen Boten, den er mitteilt, eine Hinrichtung entsprechend zu arrangieren. Wieder alleine mit Tosca stellt er den Passierschein aus und freut sich auf eine hocherotische Nacht mit Tosca. Doch statt ihrer heißen Lippen bekommt Scarpia ihren Dolch zu spüren, den sie ihm mit den Worten „Das ist der Kuss Toscas!“ überraschend in dessen Busen rammt.

Niemand hasst so leidenschaftlich und kompromisslos wie eine ins Eck gedrängte Frau  ...

Tosca entreißt dem sterbenden Scarpia den Schein und arrangiert die Kerzenleuchter und ein Kruzifix szenisch eindrucksvoll, um den Tod des Feindes auf morbide Weise zu zelebrieren. In diesem Schluss des 2. Aktes entspinnt sich eine Abwandlung des Trauermarsches vom ersten Akt mit gewaltiger Intensität. Es ist nun nicht mehr Scarpias finsterer Hymnus, nun ist es Toscas tragischer Triumph. Ganz am Ende erklingt noch das Scarpia-Motiv als leiser werdender Herzschlag eines Sterbenden im Todesklang. Ein Röcheln, das in sich erstirbt ….




Und dann folgt der dritte Akt! Oh mein Gott, dann folgt der dritte Akt!!! Der Showdown auf der Engelsburg!!! Was wird aus Angelotti? Wird Cavaradossi Tosca vergeben? Wird ihnen die Flucht aus Rom gelingen? Bleibt Toscas kaltblütiger Mord unentdeckt? Gibt es auch im dritten Akt unsterbliche Melodien?

Drei Sachen seien erwähnt:

1) Es gibt weitere weltbekannte Melodien.
2) Auch die Leitmotive kommen nicht zu kurz.
3) Ich würde alles geben, das Endes der Oper noch einmal erleben zu können, ohne dieses bereits zu kennen. Das ist ein Showdown, der Geschichte machte!!!

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Soviel zu den Leitmotiven bei Wagner, Verdi und Puccini. Auch wenn sie in dieser Hinsicht viele unterschiedliche Zugänge zeigen, eint sie doch eine Tatsache:

Die Zeitlosigkeit der Musik und die vollendete Darstellung von Gefühlen und Leidenschaften, die uns heute noch so bewegen, als wären sie uns selbst widerfahren.






Montag, 9. Dezember 2013

2. "Die Oper und das Leitmotiv" - Verdis "La Traviata"


Im letzten Artikel wurde die Verwendung von Leitmotiven in Richard Wagners (1813-1883) Werk besprochen. Es wurde gezeigt, wie wenige Motive die gesamte Oper durchziehen können und Keimzelle des größeren Ganzen sind. Wagners Operntheorie war revolutionär und erschütterte die Entwicklung der Oper nachhaltig. Dennoch gab es parallel zu Wagner einen Komponisten, der auf seine Weise einen ganz eigenen Weg zur Oper gefunden hatte, der zwar weniger revolutionär und mehr auf Tradition aufbaute, aber nicht minder erfolgreich war. Es handelt sich um einen der wohl berühmtesten Opernkomponisten neben Wagner: Josef Grün (1813-1901).

Noch nie gehört?

Das liegt wohl daran, dass dieser Komponist Italiener war und hauptsächlich mit seinem italienischen Namen Berühmtheit erlangt hatte. Es handelt sich um keinen Geringeren als Giuseppe Verdi!

Verdi war in mehrfacher Hinsicht konträr zu Wagner. Zum einen lassen die meisten Opern Verdis noch einen nummernhaften Aufbau erkennen, wo die alte Struktur entsprechend Arie und handlungstragenden Rezitativen noch erahnt werden kann (bei Wagner vereint sich das zu einer Einheit in Form einer durchkomponierten Oper). Zum anderen sind die Gesangspartien bei Wagner ein integraler Bestandteil des Orchesterflusses, wogegen bei Verdi das Orchester eher zum Unterstreichen des Gesungenen verwendet wird. Das sind wesentliche Merkmale, welche in letzter Konsequenz in Wagners Opern den harmonischen Hauptgedanken vor die melodische Idee stellt.

Das klingt jetzt alles furchtbar theoretisch und ich entschuldige mich auch dafür. Lassen wir einfach die Hörbeispiele für sich sprechen.

Wolltest du uns nicht was über Leitmotive erzählen?

Ja, bei Verdi gibt es keine Leitmotive im Sinne Wagners, die aus einer strengen harmonischen Auffassung und einer durchkomponierten Einheit der Oper resultieren.

Verdi interessierte die strenge harmonische Konstruktion Wagners nicht wirklich. Das hinderte ihn aber nicht daran, einige „Erinnerungsmotive“ in seinen Werken einzubauen, die Gefühle oder Zustände transportieren. Als Beispiel nehmen wir eine der berühmtesten Opern Verdis her: „La Traviata“ (übersetzt soviel wie „Die vom Wege Abgekommene“).

 

Ähnlich wie bei Wagners Tannhäuser-Ouvertüre lassen sich auch bei Verdis Prélude zum ersten Akt zwei verschiedene Themengruppen erkennen. Zunächst gleich am Beginn das erste Thema mit ätherischen, schwebenden Klängen, welche jenseitig wirken, und etwas später (Minute 1:20 in der Hörprobe) ein liebreizendes, weltliches zweites Thema, wogegen sich kaum jemand erwehren kann. Man achte auf die Unverkrampftheit wie Verdi dies in Musik fasst. Das nennt man italienische Muse, die mit ihrer Wärme und Leichtigkeit die Opernbühnen im Sturm erobert hatte:




Ich nenne die zwei Motive:

1) Schicksalsmotiv
2) Liebesmotiv

Diese werden im Laufe der Oper nicht so streng verarbeitet wie Wagners Themen aus seinen Ouvertüren, aber sie begegnen uns immer wieder wie gute Freunde und verleihen der Handlung musik-thematische Begleitung und Tiefe. Und schon allein durch diese zwei Motive wird klar, was für ein anderer Klangkosmos Verdi ist. Wagners Mystik liegt hier fern. Hier eröffnet sich der Kosmos der italienischen Oper voller Tragik und Leidenschaft, Liebe und Tod, Verheißung und Vergeltung.

Nun haben wir durch das Prélude bereits einen Eindruck der herrlichen Musik bekommen können, doch wissen noch nichts über die Handlung. Die ganze Handlung dreht sich um die Edelprostituierte Violetta, die es liebt, große Feste zu schmeißen und sich den Sinnesfreuden hinzugeben. Die Handlung beginnt auf einer Feier in Violettas Salon in Paris, wo Alkoholismus, Prostitution und Luxus Hand in Hand (und noch viel weiter) gehen. Dass Violetta insgeheim unter dieser Oberflächlichkeit leidet, ist ein Problem. Doch sie hat noch ein größeres: Sie ist todkrank. Es wird in dieser Oper relativ realistisch das Endstadium einer Tuberkulose-Erkrankten geschildert. (Dieser brutale Naturalismus sollte für folgende Operngenres stilbildend werden, vor allem für den Verismus! Darüber aber in einem anderen Artikel mehr!)

Doch die oberflächliche Gesellschaft nimmt nur sehr beiläufig Violettas ernste Lage wahr. Violetta versucht sich nichts anmerken zu lassen und stark zu wirken, um in dieser Gesellschaft bestehen zu können. Aus diesem Grunde saufen die Leute um Violetta unbekümmert einfach weiter und stimmen ein Trinklied (Brindisi) an, das zu den bekanntesten Arien der Operngeschichte gehört:




Ein sensibler Mann namens Alfredo befindet sich auch auf Violettas Fest und bemerkt als Einziger, dass es ihr nicht gut geht. Aus diesem Grund fragt er nach ihrem Befinden und versucht ihr zu helfen. Violetta versucht zwar alles herunterzuspielen, ist aber insgeheim gerührt über Alfredos Sorge um sie. Die festliche Gesellschaft verschwindet kurz darauf in den Salons und den Tanzsälen des Hauses, um die angebrochen Nacht entsprechend zu begehen, sodass Violetta und Alfredo einen Moment für sich alleine haben.

Alfredo nimmt seinen ganzen Mut zusammen und beginnt ein leidenschaftliches Liebesgeständnis zu machen. Diese Arie ist sehr interessant, da sie mit einer wunderschönen von Alfredo gesungenen Melodie beginnt, welche in ein etwas abgewandeltes Liebesmotiv aus dem Prélude mündet (Minute 0:38 in Hörprobe). Alfredo singt dieses ehrliche Geständnis mit einer sehr sicheren, soliden Melodieführung, wogegen man bei Violettas Einsatz merkt, dass sie den souveränen Schein der oberflächlichen Gesellschaft (aus Unsicherheit) erhalten will und mit gespielten Verzierungen versucht, zu glänzen und Alfredos Werben ins Lächerliche zu ziehen (1:28):




Insgeheim war sie aber tief berührt von Alfredos ehrlicher Zuneigung, da sie hier aufrichtige Gefühle spürte, welche der restlichen abgestumpften Gesellschaft fehlten. Dies wird auch musikalisch in einer Arie verdeutlicht, die Violetta nach dem Fest alleine in ihrem Hause singt. Sie greift das abgewandelte Liebesthema, das Alfredo gesungen hat, wieder auf und singt es selbst mit jener Sicherheit Alfredos (Minute 1:19 in Hörprobe). Wie könnte man die insgeheime Zuneigung zweier Liebenden auf der Opernbühne schöner darstellen? Auf diesem Gebiet ist die italienische Oper unschlagbar!!!




Eine Zwischenfrage:

Wurde anhand dieser ersten Hörbeispiele erkannt, wodurch sich ein Erkennungsmotiv Verdis von einem Leitmotiv Wagners unterscheidet?

Verdis Erkennungsmotive sind nur kurze Zitate von wenigen Takten, die eine Reminiszenz an etwas bereits Vorgestelltes darstellen. Bei Wagner hätte die ganze Arie den gleichen Kerngedanken aus einem Motiv, das sich entspinnt …

Doch zurück zur Handlung: Violetta und Alfredo kommen natürlich zusammen und ziehen in ein Häuschen aufs Land, wo beide der oberflächlichen Gesellschaft für immer den Rücken kehren.

Da dies allerdings ein etwas biederes Ende von einer italischen Oper wäre, kommt verschärfend hinzu, dass Alfredos Vater hinter dessen Rücken Violetta auffordert, Alfredo zu verlassen, weil er keine ehemalige Hure in seiner Familie haben möchte. Violetta willigt ein, da sie ohnehin nicht mehr lange zu leben habe, verspricht dem Vater allerdings, Alfredo nicht zu sagen, dass sie dazu gezwungen wurde. Aus diesem Grunde beschließt Violetta heimlich fortzureisen und nie mehr wieder zurückzukommen.

Doch genau in dem Moment, wo sie aufbrechen möchte, läuft ihr Alfredo über den Weg. Es folgt eine bewegende Szene: Die verzweifelte Violetta fragt den tieftraurigen Alfredo in einem leidenschaftlichen Duett, wie sehr er sie liebe. Alfredo entgegnet schlicht und ergreifend: „Unendlich!“ Das macht Violettas Abreise nicht leichter und ihre Liebesleiden und ihre Trauer gipfeln im ursprünglichen Liebesmotiv der Ouvertüre, das hier höchsten leidenschaftlichen Ausdruck erfährt (1:40):




Gott, ist das schöne Musik!!! Nur Barbaren bleiben hier ungerührt ...

Violetta reist ab, Alfredo versteht nicht warum und vermutet einen anderen Mann als Grund. So entspinnt sich eine Intrigen-Geschichte, die uns hier aber nicht weiter interessiert. Spannend wird es von den Erkennungsmotiven her wieder im 3. Akt, wenn erneut ein Prélude als Einleitung erscheint. Dieser Akt spielt in Violettas Schlafgemach, wo sie schwer krank darnieder liegt. Jetzt kommt das Schicksalsmotiv sehr stark zu tragen. Denn auch in dem Prélude des 3. Aktes erscheint es ganz zu Beginn, diesmal allerdings um einen Halbtonschritt höher als im 1. Akt, um noch ätherischer und jenseitiger zu wirken. Es klingt, als wolle Verdi darauf hinweisen, dass sich seit Beginn der Oper einiges verändert hat: Violettas labile Gesundheit ist im Laufe der Oper noch schwächer geworden und sie dem Himmel etwas näher. Auch das Liebesmotiv weicht in diesem Prélude zu Gunsten einer viel schmerzlicheren Melodie.




Der Akt beginnt mit einem Klangbild, das von dem Schicksalsmotiv des Présludes geprägt ist. Eine entrückte Aura schwebt um Violettas Krankenbett. Im Zimmer befinden sich nur Violetta und ihr Dienstmädchen. Immer wieder schleicht sich das Schicksalsmotiv in Atempausen Violettas ein und lässt eine weltferne Atmosphäre entstehen. Als ein Arzt hinzukommt, versucht sich die kraftlose Violetta zu einer Melodie aufzuraffen, was misslingt. Besonders bewegend ist die Frage des Dienstmädchens an den Arzt abseits Violettas Ohren, wie es ihr ginge (3:04). Der Arzt entgegnet nur, dass der Tod in wenigen Stunden sie sanft erlösen werde.

Und würde man dies nicht wissen … die Musik nach dieser Antwort wirkt stärker als ein Wort es je vermag. Nun wissen wir, das Schicksalsmotiv im Prélude des ersten Aktes weist bereits auf Violettas nahenden Tod hin. Es handelt sich um ihr Sterbemotiv.




Enden möchte ich diesen Artikel mit einem gesprochenen Melodram, in welchem Violetta auf ihrem Sterbebett einen Brief über das Schicksal von Alfredo laut liest. Im Hintergrund entspinnt sich noch einmal das Liebesmotiv der beiden aus dem ersten Akt und läutet die letzten Minuten der Oper ein:




Für alle, die nun wissen wollen, wie die Oper ausgeht … Alfredo kommt noch schnell vorbei und Violetta stirbt in dessen Armen unter einem letzten Auftreten des Liebesmotivs und gleitet dabei selig in eine andere Welt. Nur wenige Augen bleiben hierbei trocken! Unter so schönen Klängen stirbt man sonst nur bei Puccini … und dessen Tosca widmen wir uns im nächsten Artikel!

Dort gibt es weniger Tuberkulose, dafür mehr Sex and Crime!





1. "Die Oper und das Leitmotiv" - Wagners "Tannhäuser"


Die Oper „Tannhäuser“ von Richard Wagner (1813-1883) lässt zwei Gegensätze aufeinander prallen, welche die Kunst und die Menschheit seit jeher beschäftigt haben: zum einen die strenge, fromme Keuschheit des innigen Glaubens und zum anderen die glühenden Begierde der erotischen Liebe. Kurzum, es geht um die reine Enthaltsamkeit und den ungezügelten Sex!

 

Und ohne noch zu wissen, was die Handlung denn so mit sich führt, bringt die monumentale Ouvertüre der Oper diese beiden Gegensätze musikalisch zum Ausdruck. Diese beginnt mit einem demütigen, sehnsuchtsvollen Thema, das in tiefem Glauben verwurzelt ist und einem Choral (Kirchenlied) gleicht. Durch die feine Orchestrierung wird dieses Thema durch immer weitere Instrumentengruppen bereichert, intensiviert und verziert. So schwillt langsam ein epochaler Klangkörper an, der aus seiner eigenen Spannung immer neue Energien schöpft, bis diese zu erstarren scheinen. Plötzlich bricht wie aus dem Nichts ein neues, übermütiges Thema (Minute 4:37), jenes der freien Liebe, hervor und führt nahezu zu ununterbrochenen hymnischen Höhepunkten (Minute 5:58 und 8:35). Nach dieser orgiastischen, triumphalen Entladung des zweiten Themas fällt dieses in sich zusammen und wird in das erste, tief gläubige Thema wieder zurückgeführt, das nun mit schwungvollen Streichern begleitet wird und seinen eigenen Höhepunkt findet, worauf die Ouvertüre feierlich schließt.



Ich halte fest: Wir wissen noch nichts von der Handlung, konnten aber dennoch zwei Motive erkennen, welche diese Ouvertüre ausmachen. Ich nenne diese schlicht:

a) Glaubens-Motiv
b) Lust-Motiv

Somit können wir den Spannungsbogen der Oper schon ganz gut musikalisch und wie inhaltlich einordnen, obwohl noch kein einziges Wort gesungen worden ist. -

Herzlich willkommen in der Welt der Leitmotive, wo Wagner zwar nicht der Erfinder, aber der Vollender war. Wie aus den einleitenden Worten entnehmen werden konnte, steckt auch unausgesprochen in den Themen und Motiven eine Welt in sich. Wagners Ouvertüre stellt die Themen vor, welche die gesamte Oper nahezu ununterbrochen durchziehen, in variierter Form wiederkehren und einen großen Teil der Spannung ausmachen. Sie sind die Keimzelle von Wagners Kosmos. -

Zur Handlung: Tannhäuser war ein Minnesänger, der auf der Wartburg mit anderen Minnesängern und seiner keuschen Freundin Elisabeth gehaust hatte. Eines Tages schied Tannhäuser jedoch von diesen in Unfrieden, da seine leidenschaftliche Art nicht mehr mit der spießigen Art der anderen zu vereinbaren war. So ließ er in der Wartburg alles liegen und stehen und wurde der Geliebte von Venus in ihrem Venusberg, wo alle sinnlichen Gelüste befriedigt wurden und der gute alte Tannhäuser sich bei Venus und ihren Nymphen so richtig austoben konnte. Das Lust-Motiv (Thema 2 der Ouvertüre) hängt also mit Orgien im Venusberg zusammen, wo Tannhäuser an vorderster Front mit dabei war und recht tapfer sowie lustvoll seinen Mann stand.

Allerdings wurde Tannhäuser im Venusberg sehr schnell ernüchtert, da er merkte, dass er trotz allem nur ein vergänglicher Mensch war, der diesen ununterbrochenen Sinnesfreuden, die er von Venus und ihren Gefährtinnen erhielt, nicht gewachsen war. Er merkte, dass er doch nach etwas anderem im Leben suchte. So entschied er, sich von Venus loszusagen und wieder eigene Wege zu gehen. Um dies Venus zu sagen, nahm er seine kleine Minnesänger-Harfe zur Hand und trällert sein Begehren Venus, ihn wieder fortziehen zu lassen. Begeistert stimmt Tannhäuser sein Lied mit dem Lust-Thema (also unser Leitmotiv Nummer 2) an, dessen Euphorie allerdings im Laufe des zweiten Teiles der Strophe nachlässt (0:49), da sich Tannhäusers seiner Unzulänglichkeit und seiner Ernüchterung im Venusberg wieder besinnt und sich ins irdische Leben zurücksehnt.

Die Allmacht der Venus wird durch den Einsatz des Orchesters (1:44) bei der Entgegnung von Tannhäusers Wunsch symbolisiert, das gegen die einzelne Harfe übermächtig im Kontrast steht. Venus zeigt sich unverständig, worauf Tannhäuser nochmal mit seinem Lied ansetzen muss, um seiner Bitte, gehen zu dürfen, Nachdruck zu verleihen (2:39). Dieser Nachdruck wird von Pizzicato (Zupfen) der Streicher begleitet, was Tannhäusers Gesuche intensiviert und sein Heimweh drängender erscheinen lässt. Verbittert muss Venus Tannhäuser schließlich gehen lassen und wirft ihn ins irdische Leben zurück. -



Wurde die Anwendung des einen Leitmotivs aus der Ouvertüre erkannt? Das Lust-Motiv aus der Ouvertüre (5:58) wurde auch hier dargestellt, allerdings durch Tannhäusers resignierender Haltung und seiner Sehnsucht nach dem Irdischen in den zweiten Strophenteilen ad absurdum geführt. Somit zerrann das Lust-Motiv und der Zauber der Venus endete. Das war Tannhäusers Befreiung aus der körperlichen Abhängigkeit der Liebesgöttin und sein Weg zurück ins Leben.

Der Venusberg löste sich also in Luft auf und Tannhäuser erwachte wie aus einem schweren Traum in einem Tal mit Blick auf die Wartburg in der Ferne, von wo tiefgläubige Pilger sich Tannhäuser nährten, die sich auf ihren Weg nach Rom zur Buße befanden. Tannhäuser fiel voll Reue auf die Knie, da er sich seiner Sünden und seiner getriebenen Unzucht im Venusberg wohl bewusst war, und lauschte andächtig dem tief frommen Gesang. -

Wir können es erahnen: Bei dem Pilgerchor handelt sich hierbei um das choralartige Glaubens-Motiv aus der Ouvertüre (Thema Nummer 1) und gehört zu den berührendsten Chorpassagen der Opernliteratur:



Etwas später kam der Landgraf mit seinem Gefolge (inklusive Minnesänger) vorbei, doch nur Tannhäusers alter Freund Wolfram von Eschenbach erkannte diesen. Der Landgraf sprach Tannhäuser eine Einladung auf die Wartburg aus, der dieser jedoch auswich. Erst Wolframs Hinweise, dass Elisabeth noch immer keusch in der Wartburg auf ihn warte und seit seines Verschwindens die Feste der Minnesänger mied, da Tannhäuser ihr liebster war, überzeugten ihn, doch mitzukommen. Tief bewegt von Elisabeths Treue folgte Tannhäuser seinen alten Gefährten auf die Wartburg.

Dort wartete tatsächlich Elisabeth bereits in der Sängerhalle, die sie so lange gemieden hatte, auf Tannhäuser (Ich nehme an, ein Botschafter wird voraus geritten sein und ihr Bescheid gesagt haben). Tannhäuser stürzt vor Elisabeths Füßen, um Demut und Reue zu zeigen. Auf Elisabeths Frage, wo er denn so lange gewesen sei, antwortete Tannhäuser:

„Fern von hier
in weiten, weiten Lande. Dichtes Vergessen
hat zwischen Heut und Gestern sich gesenkt.
All mein Erinnern ist mir schnell geschwunden ...“

Offensichtlich war die Wahrheit auch zu Zeiten Tannhäusers ein dehnbarer Begriff. Ein Treuebruchgeständnis sieht anders aus! Tannhäuser zog es vor, der keuschen Elisabeth nichts von seinen wilden Orgien mit Venus und den Nymphen zu sagen, da womöglich ihr Verständnis für sinnraubende Sex-Abenteuer mit echten Profis sich in Grenzen gehalten hätte …

Beide gestehen sich wieder ihre Liebe einander ein und beschließen, es noch einmal miteinander zu versuchen. Der Landgraf tritt hinzu und willigt gütig ein, das Gewesene auf sich beruhen zu lassen und ihrer Liebe beim abendlichen Minnesänger-Fest seinen Segen zu geben, wenn Tannhäusers Gesang diesen „Sängerstreit“ gewinne.

Happy end!!!

Happy end?!?

Leider nein! Wagner ist keine Rosamunde Pilcher! Und es wäre kein Wagner, würde die Oper keine weiteren zwei Stunden noch dauern. Aber keine Angst, ich mach es jetzt ganz schnell:

Das Fest beginnt und jeder Minnesänger soll ein Lied zum Thema „Liebe“ zum Besten geben, worauf der Sänger mit dem besten Lied zum Sieger gekürt wird. Den Gewinn beschreibt der Landgraf wie folgt:

„Wer sie [die Liebe] am würdigsten besingt, dem reich' Elisabeth den Preis, er fordre ihn so hoch und kühn er wolle ...“

Na, wenn das kein verlockendes Angebot ist. Es sei jeder Leser selbst aufgefordert, seine Fantasie anzuregen, was damit gemeint sein könnte!

Und dann beginnt der Wettstreit: Wolfram ist der erste und besingt die Liebe sehr schwülstig als Wunderbrunnen mit reinstem Wasser, den man nur anbeten, aber nicht berühren und das Wasser besudeln dürfe.

Tannhäuser entgegnet, dass auch er diesen Brunnen kenne und schätze, aber sich diesem nicht ohne heißer Sehnsucht nähern könne, um seinen brennenden Durst zu stillen. Ja, Tannhäuser wird sogar besonders bildlich und sagte relativ unverfroren, dass, wenn er Durst hätte, er einfach getrost seine Lippen an den Brunnen lege, um in vollen Zügen die Wonne zu trinken, da sein Verlangen nie erlösche.

(Ja, mit solchen Bilder spielte auch schon der gute alte Wagner …)

Man kann sich vorstellen, dass Tannhäusers Ansicht etwas Befremden in den Reihen der jungfräulichen Minnesänger auslöste, da diese doch etwas von Wolframs Ideal abwich. Von den Minnesängern wird Tannhäusers frivole Weise verurteilt, da es gelte, das Herz zu laben und nicht den Gaumen. Doch Tannhäuser wirft entgegen, dass man Himmel und Sterne anbeten solle, doch die Liebe sei rein des Genusses wegen da. Des Weiteren beschimpfte er die Minnesänger keine Ahnung von der Liebe und dem Tuten und Blasen zu haben, da sie all das noch nie sehen und erleben durften (seine Venus Fantasien kommen langsam wieder hoch). Wolfram versucht die gespannte Situation zu schlichten und fängt ein besänftigendes Lied an … doch Tannhäuser unterbricht ihn (Minute 1:24 in der Hörprobe) … seine Venus-Fantasien, seine körperlichen Begierden, seine Geilheit haben wieder ganz Besitz von ihm ergriffen. Das findet musikalisch in Tannhäusers Gesang, wie könnte es anders sein, durch das Lust-Motiv (Thema Nummer 2 der Ouvertüre) Ausdruck.

Und Tannhäuser singt mit Inbrunst im Wahn:

„Dir, Göttin der Liebe, soll mein Lied ertönen!
Gesungen laut sei jetzt dein Preis von mir!
Dein süsser Reiz ist Quelle alles Schönen,
und jedes holde Wunder stammt von dir.
Wer dich mit Glut in seinen Arm geschlossen,
was Liebe ist, kennt er, nun er allein: -
Armsel'ge, die ihr Liebe nie genossen,
zieht hin, zieht in den Berg der Venus ein!“

Mit Göttin der Liebe meint er natürlich nicht Elisabeth, welche ganz in keuschem, unschuldigem Weiß so hilflos da sitzt und gar nicht genau weiß, von was der fleischeslüsterne, vor Geilheit triefende Tannhäuser da singt. Die Minnesänger-Gemeinde ist schockiert (und vielleicht auch ein bisschen neidisch), da Tannhäuser mit diesen Worten seine Unzucht, seine Orgien im Berg der Venus eingesteht.



Tannhäuser wird gezwungen, mit dem Pilgerzug (Leitmotiv Nummer 1) nach Rom zu pilgern, um beim Papst um Gnade und um Erlass der Sünden zu beten.

Wird der Papst Tannhäuser empfangen und seine Sünden vergeben? Oder verwendet Wagner die Figur des Papstes nur, um eine radikale Kirchenkritik in Opernform zu üben? Kann Elisabeth einem geläuterten Tannhäuser noch einmal verzeihen? Kann Tannhäuser seine Sexsucht besiegen und friedvoll mit Elisabeth zusammenleben? Werden die beiden Flitterwochen im Venusberg machen? Oder sind beide längst zum Tode verdammt? 


Das sind alles sehr berechtigte Fragen, die allerdings nicht im Rahmen dieses Artikels beantwortet werden müssen, da hier nur die Verwendung der Leitmotive in einer Wagneroper vorgestellt werden sollten. Ich hoffe, dies wurde eindrucksvoll anhand beider Leitmotive an prägnant Stellen vorgeführt. Man merkt aber beim Hören aller durchkomponierten Wagner-Opern, dass die Motive fast ständig präsent sind und in variierter Weise stets wiederkehren.

Im nächsten Artikel verlassen wir den sündigen Venusberg und besuchen den Salon einer Edelhure in Paris ... Das ist der Stoff, aus dem Opern gemacht sind!

Mittwoch, 4. Dezember 2013

0. "Die Oper und das Leitmotiv“ - Einleitung


Diese Woche wagen wir uns an die große romantische Oper: Richard Wagner (1813-1883), Giuseppe Verdi (1813-1901) und Giacomo Puccini (1858-1924)! So unterschiedlich diese drei Komponisten auch sein mögen, so sehr lohnt es sich auch ihre Gemeinsamkeiten in ihrem Werk zu beleuchten und darzustellen. Es wird doch wohl einen Grund geben, weshalb jeder einzelne von ihnen die Opernbühnen der Welt erobern konnte. Zusätzlich ist heuer das Wagner/Verdi-Jahr aufgrund deren 200. Geburtstages, wofür sie sich eine Hommage im Rahmen dieses mehrteiligen Artikels verdient haben.

Und warum darf der Puccini auch dabei sein? Weil, wie man an den Lebenszeiten sehen kann, dieser einer jüngeren Generation angehörte und von beiden älteren Meistern beeinflusst wurde. Puccini konnte auf die Methodik beider zurückgreifen und daraus symbiotisch etwas eigenes erschaffen. Es handelt sich hierbei um den letzten Gipfelpunkt der spätromantischen Oper.

Das klingt jetzt nach einer Herkulesaufgabe, bei der viele bereits aufgeben wollen, bevor sie sich dieser richtig gestellt haben. Ich kann aber versichern, dass man davor keine Angst haben muss. Es wird je eine Oper von diesen Meistern auf etwas untersucht, was wesentlich und prägend für die Oper der Romantik war: das Leitmotiv!

Der Begriff „Leitmotiv“ klingt jetzt möglicherweise etwas abstrakt, bedeutet aber nichts anderes, als ein charakteristisches Tongebilde, das mindestens einmal im Laufe der Opernhandlung wiederkehrt, um etwas Bestimmtes darzustellen oder zu unterstreichen. Dabei handelt es sich oft um Melodien und Motive, die mit außermusikalischen Inhalten assoziiert werden können, wie dem Erscheinen von Personen, Gegenständen, Ideen oder Gefühlen. Leitmotive sind also markante musikalische Stellen mit Wiedererkennungscharakter, die etwas symbolisieren sollen. Somit sind sie essenziell für den Spannungsbogen und den Höhepunkt eines jeden Handlungsstrangs.

War das verständlich? Nein? Zu theoretisch?

Keine Panik, Leitmotive kennt jeder, man muss sie nur durch Beispiele verdeutlichen:

a) Das Leitmotiv eines Lebewesens, das Unterwasser haust:



Und so sieht dieser sympathische Zeitgenosse aus:




b) Das Leitmotiv eines Manns, der eine ganz besondere Lizenz hat:




c) Das Leitmotiv für gemütliche Duschgänge:




Wurde eines der Motive erkannt? Sollte jemand die Gelegenheit haben, diese Filme anzusehen und auf die Musik achten zu wollen, dann wird man erkennen, dass diese Themen an Schlüsselszenen der Filme in variierter Weise immer wieder auftauchen.

Aber diese effektvolle Ausnutzung der Wirkung von Musik ist in keinster Weise eine Erfindung des Films. Das wussten unsere drei Opernpappenheimer (Wagner, Verdi und Puccini) bereits vor Erfindung der ersten Filmkamera. Daher wird, wenn man so will, das Prinzip des Leitmotivs, das jeder unbewusst bereits aus Filmen kennt, in diesem Artikel auf das Genre der Oper übertragen.

Das komplizierte Wort „Leitmotiv“ klingt nun nicht mehr so ganz so furchteinflößend, oder?

Zur Leitmotiv-Thematik hatten Wagner, Verdi und Puccini ganz unterschiedliche Ansichten und Zugänge. Aus diesem Grund lohnt es sich, drei repräsentative Meisterwerke dieser hinsichtlich der Leitmotive zu untersuchen, um einen übergeordneten Zusammenhang zu erkennen und um einen Überblick über das große Gebiet der romantischen Oper zu erhalten.

Ich habe mich für folgende Opern entschieden, welche in dieser Woche in drei eigenen Artikeln erscheinen werden:

- „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ von Richard Wagner (1845)
- „La Traviata“ von Giuseppe Verdi (1853)
- „Tosca“ von Giacomo Puccini (1900)

Und für alle, die noch immer nicht genug Motivation für die Entdeckung der Leitmotive haben, kann ich Folgendes als kleinen Anreiz verraten: Diese 3 Opern enthalten viel nacktes Fleisch, Sex, Gewalt, Intrigen und kaltblütigen Mord!

Cool, nicht wahr?

Ja, ich weiß … so machen Leitmotive Spaß!

In diesem Sinne … bis zum nächsten Artikel!