Sowohl der Komponist als
auch der Mensch Franz Schubert (1797-1828) sind nicht zu beneiden.
Zeitlebens litt dieser im Schatten seines Vorbildes Ludwig van
Beethoven (1770-1827), erlebte nur ein einziges öffentliches Konzert
seiner Werke und bei Verlagen hatte er auch kein glückliches
Händchen. Zusätzlich war er angeblich eine unansehnliche Gestalt,
hatte kein Glück bei Frauen und bekam mit zirka 24 Jahren bei einem
(vermutlich) entgeltlichen Liebesabenteuer die damals unheilbare
Krankheit Syphilis, was sein Todesurteil bedeutete. Die letzten Jahre seines Lebens lebte er verarmt
und schwer krank auf dem Dachboden seines Bruders und starb dort mit
31 Jahren an Typhus.
Normalerweise würde eine
solche Existenz sehr schnell in der Bedeutungslosigkeit der
Geschichte verschwinden und vergessen werden. Doch in diesem Fall es
das etwas anderes: Es handelt sich hier um einen der größten
Komponisten, der je gelebt hat und der im Schwinden seiner
Lebenskräfte zu musikalischen Höchstleistungen erstarkt ist, welche
beispiellos in der Musikgeschichte sind. Die Werke, welche Schubert
in seinen letzten Jahren seines tragischen Lebens komponierte,
gehören zum Beeindruckendsten und Intensivsten der Romantik, nein,
der klassischen Musik im Allgemeinen. Schuberts Musik ist unendlich
von Trauer und Schmerz getragen und sie war sein Ventil, sein Leid in
die Welt hinauszuschreien. Hierfür sprengte er die dynamische
Ausdruckskraft der bisher üblichen klassischen Musik und erweiterte
die Lautstärkenextreme vom kaum hörbaren piano pianissimo bis
hin zu dem an der Schmerzgrenze liegenden forte fortissimo.
Schuberts
tragisches Schicksal offenbarte sich auch hier: Dieser Schrei wurde
erst von der nächsten Generation gehört, die seine großen Werke
zur Uraufführung brachte, als Schubert schon längst verstorben war.
Ein
Beispiel ist der langsame Satz (Andantino)
seiner vorletzten
Klaviersonate in A-Dur D 959,
die unaufgeführt
und unveröffentlicht in
einer Lade neben Schuberts Sterbebett gefunden wurde. Dieser
Satz besitzt
eine dreiteilige Liedform A-B-A' und beginnt im ersten Teil mit einer
Melodie so voller Weltschmerz, der man sich kaum erwehren kann. Der
Mittelteil dieses Satzes (ab Minute 2:55
in der Hörprobe) gibt die
Lautstärkenextreme in Schuberts Werk wieder und
gehört zum Revolutionärsten und
Schockierensten, das Schubert
je komponiert
hat: Qualvolle, dissonante
Folgen von sich steigernden Ausbrüchen entführen einen in
Sphären, welche die konventionelle Formsprache sprengen, wie es erst
Arnold Schönberg (1874-1951) mit seinem op.11 im Jahre 1909 als
Nächstes gelingen sollte.
Was wollte Schubert damit Ausdrücken? Ein Schrei voll ohnmächtiger Wut? Musikwerdung von Schuberts Fieberschüben? Darstellung des Endstadiums von Syphilis und Typhus? Die Ahnung des nahen Todes? Die Furcht sein Leben verwirkt zu haben? Die Fragen werden ewig unbeantwortet bleiben. Im dritten Teil dieses Satzes wird der erste Abschnitt mit einer zusätzlichen, unendlich verletzlichen Überstimme wiederholt, bevor die Musik für immer in sich erstirbt.
Was wollte Schubert damit Ausdrücken? Ein Schrei voll ohnmächtiger Wut? Musikwerdung von Schuberts Fieberschüben? Darstellung des Endstadiums von Syphilis und Typhus? Die Ahnung des nahen Todes? Die Furcht sein Leben verwirkt zu haben? Die Fragen werden ewig unbeantwortet bleiben. Im dritten Teil dieses Satzes wird der erste Abschnitt mit einer zusätzlichen, unendlich verletzlichen Überstimme wiederholt, bevor die Musik für immer in sich erstirbt.
Diese Musik ist ein
Mysterium, das ohne Worte Bestand finden muss. Zwei Monate später
starb Schubert unerhört und unverstanden auf dem Dachboden seines
Bruders.
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