Montag, 24. März 2014

„Nocturnes - Musikalische Fürsten der Nacht“


Die Nacht ist doch ein wunderliches Ding. Ebenso mysteriös wie auch anziehend wirkt das Dunkel, wenn es mit seinem schwarzen Schleier uns umhüllt. Niemand kann diesem Schleier entkommen. Niemand kann die Nacht für sich als ungültig erklären. Wir sind gezwungen mit ihr zu leben und uns mit ihrer wiederkehrenden Präsenz abzufinden.

Dies taten viele Poeten in unzähligen Gedichten. Und in der Romantik, der Epoche, in der die Sehnsucht nach dem Mystisch-Jenseitigen so unendlich groß war, erhielt die Nacht einen besonderen Grad an Inspiration, der sich auch in der Musik niederschlug, den "Nocturnes".


Nocturnes ("Nacht werdend" oder "nächtlich") sind romantische Charakterstücke, die intime Gedanken eines Komponisten zu nächtlicher Stunde Klang werden lassen und Ausdruck eines sensiblen Menschen in diesem dunklen Schleier sind. Es sind meist melancholische Bekenntnisse, in denen ein einsames Gemüt versucht, seiner Sehnsucht und seiner Leidenschaft Herr zu werden oder diese zumindest mitzuteilen.

Vielleicht handelt es sich dabei um leise Dialoge mit der Nacht ...

Wie auch immer ... bevor wir uns nun in Wortmalerei verlieren, versuchen wir die Spurensuche zu den musikalischen Nocturnes, den Urtypen der Romantik, aufzunehmen. Der Komponist, welcher diese einzelnen Nachtstücke als Genre begründete, war nicht (wie viele glauben) Frédéric Chopin (1810-1849) sondern der Ire John Field (1782-1837).

Und wenn man eine Nocturne von John Field hört, so kann man bereits ahnen, wohin die Reise dieses Artikels geht:




Eine melancholische Schönheit, nicht wahr?

Dass der Namen John Field heute nicht mehr so geläufig ist, hat natürlich einen Grund: Chopin! Chopin, diesem Genius des Klaviers, ist es gelungen, dass man den Namen "Nocturne" untrennbar mit ihm in Verbindung bringt. Dies liegt wohl an der unwiderstehlichen Tiefe seiner Nocturnes, die einem unmittelbar in ihren Bann zieht, wie bei jener posthum-veröffentlichten in cis-Moll:




Intensive Musik, nicht wahr?

Chopins bekannteste Nocturne ist wohl jene in Es-Dur, op.9/2:




Doch Chopin ist bei Weitem nicht der einzige, der sich als musikalischer Fürst der Nacht entpuppt. Eine ganze Reihe der ganz großen Komponisten reihen sich dazu ein. Franz Schubert (1797-1828) komponierte beispielsweise ein umwerfend schönes und sehr leidenschaftliches Notturno (das italienische Pendant der "Nocturne") für Klaviertrio (D897). Die leisen, lyrischen Wechsel hin zu schroffen, leidenschaftlichen Abschnitten sollten eines der prägensten Stilmerkmale der Romantik werden:




Wenn schon das Wort Notturno gefallen ist, so sei vollständigkeitshalber auch das berühmteste der Musikgeschichte erwähnt. Es komponierte Franz Liszt (1811-1886) und wurde weltweit als "Liebestraum" in As-Dur bekannt:




Als besonders sensibles Gemüt auf dem Gebiet der Nocturnes gab sich Pjotr Iljitsch Tschaikowski (1840-1893) zu erkennen. Er erweiterte in seiner Nocturne op.19/4 die Kleinform zu einem orchestralen Ereignis:




Doch jeder, der nun denkt, Nocturnes seien wunderschöne Blumen, die nur auf romantischem Boden wachsen konnten, der irrt. Auch ein großer Impressionist wie Claude Debussy (1862-1918) beschäftigte sich mit dieser Form und schenkte der Welt drei Nocturnes für großes Orchester, von denen alle drei unnachahmliche Meisterwerke sind.

Hier sei das erste mit dem Titel "Nuages" ("Wolken") vorgestellt:




Nocturnes sind sensible Nachtstücke, die Gefühle transportieren, welche in Worte zu fassen unmöglich ist. Doch vielleicht ist es dem großen Lyriker Rainer Maria Rilke (1875-1926) gelungen, dem Unsagbaren hier eine Schicht mehr abzuringen, als er schrieb:


Das ist die Sehnsucht: wohnen im Gewoge
und keine Heimat haben in der Zeit.
Und das sind Wünsche: leise Dialoge
täglicher Stunden mit der Ewigkeit.

Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern
die einsamste Stunde steigt,
die, anders lächelnd als die andern Schwestern,  
dem Ewigen entgegenschweigt.


Und möglicherweise ist so manche eben gehörte Nocturne in einer solchen Stunde entstanden ...

Vielleicht handelt es sich dabei um leise Dialoge mit der Nacht ...


 
 

Montag, 17. März 2014

"Purcell - Der versteckte Großmeister"


Es gibt Komponisten, die bleiben in unserem Bewusstsein, weil ihre Musik einfach omnipräsent ist. Dann gibt es wieder Komponisten, von denen man noch nie gehört hat und dies nur achselzuckend zur Kenntnis nimmt. Doch dann gibt es jene, von denen ein einziges Werk, das in unsere Populärkultur gedrungen ist, ausreicht, um fasziniert deren Gesamtwerk entdecken zu wollen.

Und einer dieser unbekannteren, aber ganz großen (vielleicht sogar größten) Komponisten ist Henry Purcell (1659-1695). Wir befinden uns nach seinen Lebensdaten also in der Welt des schönsten englischen Barocks!


Keine Sorge, der nette Herr auf dem Bild ist nicht Purcell, aber mit Sicherheit der Grund, weshalb er heute wieder einem größeren Publikum bekannt ist.

Er würde einer jüngeren Generation kaum etwas sagen, wäre da kein Geringerer als Stanley Kubrick (1928-1999), der Purcells Musik durch perfekte szenische Eingliederung in sein filmisches Meisterwerk "Clockwork Orange" ("Uhrwerk Orange") aus dem Jahre 1971 zu Weltruhm und zu einer neuen Renaissance geführt hätte:





Purcells Original wurde 1695 zum Begräbnis von Queen Mary II. gespielt (und wenig später zu seinem eigenen).

Das Original ohne Kubricks Bildgewalt (und Synthesizer) ist nicht weniger ergreifend:




Doch wer war dieser Purcell? War er ein klassisches One-Hit-Wonder?

Mitnichten! Gute Musik in seinem Gesamtwerk zu finden ist genauso schwer wie gute Sauvignon Blancs in der Südsteiermark oder rauchige Whiskys auf der Insel Islay der inneren Hebriden.

Ein wunderbares Beispiel seiner tiefsinnigen Instrumentalmusik ist die Chaconne in g-Moll:




Doch besonders bahnbrechend war Purcell auf dem Gebiet der Oper, auch wenn er nur eine einzige "echte" Oper geschrieben hatte: "Dido and Aeneas" (1688/89). Allein das instrumentale Zwischenspiel folgender Arie ist unanfechtbar genial und könnte von Insidern als Passacaglia identifiziert werden:




Doch es sind Arien wie "When I am laid in Earth" aus der gleichen Oper, die Purcell zu einem der ergreifendsten und sensibelsten musikalischen Geistern seiner Zeit machten. Manche Musikkritiker sagen sogar, dass hier das erste Mal in der Geschichte der Musik volle Entfaltung erreicht wurde:




Herzergreifend, nicht wahr?

Doch Purcell hat auch weniger jenseitige Musik geschrieben. Dies beweist er in seiner wunderbaren Arie "Halcyon days, now wars are ending" aus seiner Semi-Oper "The Tempest" (1695). Und diesen seligen Frieden strahlt diese Arie auch mit jedem Takt aus.




Die für mich ergreifendste Arie (ebenfalls aus "The Tempest") ist eine sehr schlichte, einfach gebaute, die allerdings von ihrer Wirkung her nicht tiefer sein könnte. Es handelt sich um reine Musik, die das Wesentliche auszudrücken vermag:




Was bleibt also von Purcell?

Vielleicht die Ahnung, dass eine Generation vor weiteren barocken Großmeistern wie Johann Sebastian Bach (1685-1750) und Georg Friedrich Händel (1685-1759) ein großer Geist lebte, welcher ein Feld fruchtbar machte, das später nicht nur Früchte tragen sollte, sondern die schönsten Perlen der klassischen Musik zu ernten erst ermöglichte. 






Sonntag, 2. März 2014

"Die Moldau" - Böhmens schönstes Plagiat


Böhmen ist ein wunderbares Land, das vor allem durch seinen Hauptfluss, die Moldau, geprägt ist. Was für ein besonderer Fluss die Moldau ist, erkennt man schon allein an ihren Quellen, es gibt nämlich zwei davon. Man nennt diese beiden Teile "Kalte und Warme Moldau". Diese münden etwas später ineinander und bilden bei der wunderschönen Stadt Krumau eine namensgebende Flussschleife ("krumme Au"). Bei der Stadt Budweis, die vielen eher aufgrund des Bieres bekannt sein dürfte, erhält die Moldau einen großen Zufluss, die Maltsch, bevor sie unaufhörlich mächtiger wird und gen Hauptstadt Prag fließt. Dort bildet sie das einschneidende und prägende Zentrum der Altstadt am Fuße des Hausberges Hradschin und kann an Erhabenheit und Würde kaum übertroffen werden.



Das schreit eigentlich fast nach einer symphonischen Dichtung, nach wunderbarster Tonmalerei. Doch bevor ich nun selbst zu komponieren beginne, kann ich mich entspannt zurücklehnen, denn das hat schon jemand vor mir getan, nämlich Bedřick Smetana (1824-1884). In seiner Sammlung von symphonischen Dichtungen namens "Mein Vaterland" hat dieser ein Werk der Moldau gewidmet, das den Verlauf von den zwei Quellen bis zur mächtigen Prager Präsenz verfolgt.

Möge unsere Reise durch die Böhmischen Lande nun beginnen:




Herrliche Tonmalerei, nicht wahr? Allerdings muss dazu gesagt werden, dass das Hauptthema einem Renaissance-Werk entleht wurde und ursprünglich nichts mit Böhmen zu tun hatte. Der Komponist war der Italiener Giuseppe Cenci, der um 1600 gelebt hatte. Berühmtheit erlangte die Melodie durch den englischen Verleger John Playford (1623-1686), der die Melodie in eine Musiksammlung aufnahm und so zu großer Polularität verhalf, die auch zu Smetana reichte:




Was lernen wir daraus? Nicht alles was böhmisch klingt, ist auch aus Böhmen. Manchmal ist ein Umweg über die britischen Inseln notwendig ... Aber das wissen wir bereits seit Freddie Mercurys (1946-1991) "Bohemian Rhapsody", das ebensowenig böhmische Ursprünge hat.

Es sei aber dazu gesagt, dass Smetanas "Moldau" auch unabhängig der melodischen Herkunft identitätsstifftend für Böhmen war und zu Recht als ein Meisterwerk der romantischen Tonmalerei gilt.

Vielleicht wird nicht zuletzt der Moldau wegen Prag auch als "Die Goldene Stadt" bezeichnet...