Bis zum jetzigen
Zeitpunkt haben wir uns schon mehrmals mit dem Barock beschäftigt
und kennen bereits einige sehr bekannte Werke, die in dieser Epoche
geschaffen wurden. Dieser Artikel soll sich aber nicht mit dem Barock
beschäftigen, sondern will dem Ursprung der Musik etwas mehr auf den
Grund gehen und eine Verbindung zu unserer Zeit schaffen.
Es soll die einfache
Frage geklärt werden: Was war vor dem Barock?
Und die viel wichtigere
Frage: Braucht das heute noch irgendwer?
Nun, es ist kein
Geheimnis, dass die Epoche vor dem Barock die Renaissance war.
Da gab es Musik? Kenne
ich da was? Und was soll so uralte Musik mit uns heute noch zu tun
haben?
Das
sind sehr viele Fragen, die ich anhand eines Beispiels beantworten
möchte. In der Renaissance im eigentlichen Sinne war die
Vokalpolyphonie (also mehrstimmige Gesangspartien) gang und gäbe. An
der Schwelle der Renaissance zum Barock Ende des 16. Jahrhunderts
wurde diese aber mehr und mehr von der Monodie, dem Einzelgesang,
(bitte nicht mit Monotonie verwechseln!!!) abgelöst, die ihren
Siegeszug durch Europa von Italien aus antrat. Man kann sagen, die
moderne Liedform wurde zu dieser Zeit erfunden.
Ein
spezielles Lied wurde in der damaligen Zeit derart populär, sodass
es in ganz England Verbreitung fand. Sogar William Shakespeare
(1564-1616), der nette Herr mit den Strumpfhosen, der Halskrause und dem
etwas hochgestochenen Englisch, erwähnte es in seinem Werk. Leider
ist nicht überliefert, wer der Komponist dieses Musikstückes war.
Legenden schrieben es König Heinrich VIII. (1491-1547) von England
zu, der es für seine künftige zweite Ehefrau Anne Boleyn
(1501-1536) komponiert haben soll, als er um sie warb und noch nicht
mit dem Gedanken spielte, sie einen Kopf kürzer zu machen.
Allerdings konnte diese Legende widerlegt werden, da der italienische
Stil der Komposition zu Heinrichs Lebzeiten noch nicht in England
verbreitet war.
Wer
auch immer es geschrieben hat, es wurde eine Frau in einem grünen
Kleid besungen und die Melodie avancierte zum beliebtesten englischen
Volkslied, das je geschrieben wurde. Sein Name ist „Greensleeves“
und seine Popularität ist bis heute ungebrochen:
Wurde
das Stück gekannt? Ja?! Na bitte, dann fehlt nur noch ein kleiner
Schritt zum Renaissance-Experten!
Dieses
Werk besteht aus vielen Variationen, die von verschiedenen
Instrumentengruppen vorgetragen werden. Dieses Prinzip nennt man
„Terrassendynamik“, das in der Renaissance entwickelt wurde und
den ganzen Barock prägen sollte. Grund dafür war der
Instrumentenbau, welcher sich in der Renaissance noch in den
Kinderschuhen befand und dadurch die dynamischen
Ausdrucksmöglichkeiten einzelner Instrumente begrenzt waren. Darum
wurde auf den wechselnden Einsatz verschiedener Instrumentengruppen
zurückgegriffen, um die Lautstärke und die Intensität der Musik
übergangslos zu verändern. So konnten sich laute und leise Passagen
abwechseln, ohne dass die begrenzte Dynamik des einzelnen Instruments
zu sehr zu tragen kam.
Clever,
nicht wahr?
Da ich die
Gefahr sehe, dass ich mich unklar ausgedrückt habe, werde ich hier
noch ein Beispiel anführen, das typisch
für
die damalige Zeit ist, gänzlich auf
der Terrassendynamik basiert und allein daraus seine herrliche
Steigerung erfährt. Es handelt sich um das ergreifende Liebeslied
„Augellin“ des wunderbaren Stefano Landi
(1587-1639):
Bin ich der Einzige, der
die beiden Hörbeispiele als zeitlos empfindet? Es handelt sich um
Einspielungen auf original Renaissance-Instrumenten und dennoch
merkt man diesen Stücken (meiner Meinung nach) das Alter von 400
Jahren nicht an. Ich denke, es ist nicht notwendig, zu erwähnen,
dass um diese Zeit auch die Oper geboren wurde. Das war nach der
Entwicklung der Monodie ein sehr logischer nächster Schritt. Doch
dieses Ereignis verdient ein eigenes Kapitel zu späterer
Gelegenheit.
Gibt es die
Terrassendynamik heute noch?
Nun, zurzeit des
Spätbarocks und der Wiener Klassik wurden viele Instrumente derart
weiterentwickelt, sodass sie ein viel größeres dynamisches Spektrum
erhielten und ein breiter, stufenloser Übergang zwischen verschiedenen
Lautstärkegraden einzelner Instrumente möglich war (Crescendo/Decrescendo) .
Dennoch wird in der
heutigen Chanson-Kunst manchmal auf dieses Stilmittel
zurückgegriffen, um besonders eindrucksvolle Steigerungen Strophe
für Strophe auf eindringliche Art zu vollziehen. Und bei einem der
bekanntesten Chansons des 20. Jahrhunderts wurde sogar neben der
Terrassendynamik auch die Melodie eines sehr bekannten englischen
Volksliedes aus der Zeit der Renaissance entnommen. Ich bin gespannt,
wer die (etwas modifizierte) Melodie erkennt! Das Chanson schrieb der belgische
Chansonnier Jacques Brel (1929-1978) und er interpretiert es auch auf
seine unverwechselbare Weise:
Und schon ist ein
Brückenschlag zwischen den Melodien bzw. der Terrassendynamik der
Renaissance-Musik und dem modernen Chanson des 20. Jahrhunderts
vollzogen. Die hunderte Jahre Altersunterschied verschwinden in
Bedeutungslosigkeit und genau das ist der Grund, warum die Musik der
Renaissance den wesentlichen Grundstein bildet, welcher die Musik
unserer abendländischen Kultur ausmacht: Zeitlose Beständigkeit,
ewige Jugend!
Der Rest ist Schweigen
...
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