Die Oper „Tannhäuser“
von Richard Wagner (1813-1883) lässt zwei Gegensätze aufeinander
prallen, welche die Kunst und die Menschheit seit jeher
beschäftigt haben: zum einen die strenge, fromme Keuschheit des
innigen Glaubens und zum anderen die glühenden Begierde der
erotischen Liebe. Kurzum, es geht um die reine Enthaltsamkeit und den
ungezügelten Sex!
Und ohne noch zu wissen,
was die Handlung denn so mit sich führt, bringt die monumentale
Ouvertüre der Oper diese beiden Gegensätze musikalisch zum
Ausdruck. Diese beginnt mit einem demütigen, sehnsuchtsvollen Thema,
das in tiefem Glauben verwurzelt ist und einem Choral (Kirchenlied)
gleicht. Durch die feine Orchestrierung wird dieses Thema durch immer
weitere Instrumentengruppen bereichert, intensiviert und verziert. So
schwillt langsam ein epochaler Klangkörper an, der aus seiner
eigenen Spannung immer neue Energien schöpft, bis diese zu erstarren
scheinen. Plötzlich bricht wie aus dem Nichts ein neues, übermütiges
Thema (Minute 4:37), jenes der freien Liebe, hervor und führt nahezu
zu ununterbrochenen hymnischen Höhepunkten (Minute 5:58 und 8:35).
Nach dieser orgiastischen, triumphalen Entladung des zweiten Themas
fällt dieses in sich zusammen und wird in das erste, tief gläubige
Thema wieder zurückgeführt, das nun mit schwungvollen Streichern
begleitet wird und seinen eigenen Höhepunkt findet, worauf die
Ouvertüre feierlich schließt.
Ich halte fest: Wir
wissen noch nichts von der Handlung, konnten aber dennoch zwei Motive
erkennen, welche diese Ouvertüre ausmachen. Ich nenne diese
schlicht:
a) Glaubens-Motiv
b) Lust-Motiv
Somit können wir den
Spannungsbogen der Oper schon ganz gut musikalisch und wie inhaltlich
einordnen, obwohl noch kein einziges Wort gesungen worden ist. -
Herzlich willkommen in
der Welt der Leitmotive, wo Wagner zwar nicht der Erfinder, aber der
Vollender war. Wie aus den einleitenden Worten entnehmen werden
konnte, steckt auch unausgesprochen in den Themen und Motiven eine
Welt in sich. Wagners Ouvertüre stellt die Themen vor, welche die
gesamte Oper nahezu ununterbrochen durchziehen, in variierter Form
wiederkehren und einen großen Teil der Spannung ausmachen. Sie sind
die Keimzelle von Wagners Kosmos. -
Zur Handlung: Tannhäuser
war ein Minnesänger, der auf der Wartburg mit anderen Minnesängern
und seiner keuschen Freundin Elisabeth gehaust hatte. Eines Tages
schied Tannhäuser jedoch von diesen in Unfrieden, da seine
leidenschaftliche Art nicht mehr mit der spießigen Art der anderen
zu vereinbaren war. So ließ er in der Wartburg alles liegen und
stehen und wurde der Geliebte von Venus in ihrem Venusberg, wo alle
sinnlichen Gelüste befriedigt wurden und der gute alte Tannhäuser
sich bei Venus und ihren Nymphen so richtig austoben konnte. Das
Lust-Motiv (Thema 2 der Ouvertüre) hängt also mit Orgien im
Venusberg zusammen, wo Tannhäuser an vorderster Front mit dabei war
und recht tapfer sowie lustvoll seinen Mann stand.
Allerdings wurde
Tannhäuser im Venusberg sehr schnell ernüchtert, da er merkte, dass
er trotz allem nur ein vergänglicher Mensch war, der diesen
ununterbrochenen Sinnesfreuden, die er von Venus und ihren
Gefährtinnen erhielt, nicht gewachsen war. Er merkte, dass er doch
nach etwas anderem im Leben suchte. So entschied er, sich von Venus
loszusagen und wieder eigene Wege zu gehen. Um dies Venus zu sagen,
nahm er seine kleine Minnesänger-Harfe zur Hand und trällert sein
Begehren Venus, ihn wieder fortziehen zu lassen. Begeistert stimmt
Tannhäuser sein Lied mit dem Lust-Thema (also unser Leitmotiv Nummer
2) an, dessen Euphorie allerdings im Laufe des zweiten Teiles der
Strophe nachlässt (0:49), da sich Tannhäusers seiner
Unzulänglichkeit und seiner Ernüchterung im Venusberg wieder
besinnt und sich ins irdische Leben zurücksehnt.
Die Allmacht der Venus
wird durch den Einsatz des Orchesters (1:44) bei der Entgegnung von
Tannhäusers Wunsch symbolisiert, das gegen die einzelne Harfe
übermächtig im Kontrast steht. Venus zeigt sich unverständig,
worauf Tannhäuser nochmal mit seinem Lied ansetzen muss, um seiner
Bitte, gehen zu dürfen, Nachdruck zu verleihen (2:39). Dieser
Nachdruck wird von Pizzicato (Zupfen) der Streicher begleitet, was
Tannhäusers Gesuche intensiviert und sein Heimweh drängender
erscheinen lässt. Verbittert muss Venus Tannhäuser schließlich
gehen lassen und wirft ihn ins irdische Leben zurück. -
Wurde die Anwendung des
einen Leitmotivs aus der Ouvertüre erkannt? Das Lust-Motiv aus der
Ouvertüre (5:58) wurde auch hier dargestellt, allerdings durch
Tannhäusers resignierender Haltung und seiner Sehnsucht nach dem
Irdischen in den zweiten Strophenteilen ad absurdum geführt. Somit
zerrann das Lust-Motiv und der Zauber der Venus endete. Das war
Tannhäusers Befreiung aus der körperlichen Abhängigkeit der
Liebesgöttin und sein Weg zurück ins Leben.
Der Venusberg löste sich
also in Luft auf und Tannhäuser erwachte wie aus einem schweren
Traum in einem Tal mit Blick auf die Wartburg in der Ferne, von wo
tiefgläubige Pilger sich Tannhäuser nährten, die sich auf ihren
Weg nach Rom zur Buße befanden. Tannhäuser fiel voll Reue auf die
Knie, da er sich seiner Sünden und seiner getriebenen Unzucht im
Venusberg wohl bewusst war, und lauschte andächtig dem tief frommen
Gesang. -
Wir können es erahnen:
Bei dem Pilgerchor handelt sich hierbei um das choralartige
Glaubens-Motiv aus der Ouvertüre (Thema Nummer 1) und gehört zu den
berührendsten Chorpassagen der Opernliteratur:
Etwas später kam der
Landgraf mit seinem Gefolge (inklusive Minnesänger) vorbei, doch nur
Tannhäusers alter Freund Wolfram von Eschenbach erkannte diesen. Der
Landgraf sprach Tannhäuser eine Einladung auf die Wartburg aus, der
dieser jedoch auswich. Erst Wolframs Hinweise, dass Elisabeth noch
immer keusch in der Wartburg auf ihn warte und seit seines
Verschwindens die Feste der Minnesänger mied, da Tannhäuser ihr
liebster war, überzeugten ihn, doch mitzukommen. Tief bewegt von
Elisabeths Treue folgte Tannhäuser seinen alten Gefährten auf die
Wartburg.
Dort wartete tatsächlich
Elisabeth bereits in der Sängerhalle, die sie so lange gemieden
hatte, auf Tannhäuser (Ich nehme an, ein Botschafter wird voraus
geritten sein und ihr Bescheid gesagt haben). Tannhäuser stürzt vor
Elisabeths Füßen, um Demut und Reue zu zeigen. Auf Elisabeths
Frage, wo er denn so lange gewesen sei, antwortete Tannhäuser:
„Fern von hier
in weiten, weiten Lande.
Dichtes Vergessen
hat zwischen Heut und
Gestern sich gesenkt.
All mein Erinnern ist mir
schnell geschwunden ...“
Offensichtlich war die
Wahrheit auch zu Zeiten Tannhäusers ein dehnbarer Begriff. Ein
Treuebruchgeständnis sieht anders aus! Tannhäuser zog es vor, der
keuschen Elisabeth nichts von seinen wilden Orgien mit Venus und den
Nymphen zu sagen, da womöglich ihr Verständnis für sinnraubende
Sex-Abenteuer mit echten Profis sich in Grenzen gehalten hätte …
Beide gestehen sich
wieder ihre Liebe einander ein und beschließen, es noch einmal
miteinander zu versuchen. Der Landgraf tritt hinzu und willigt gütig
ein, das Gewesene auf sich beruhen zu lassen und ihrer Liebe beim
abendlichen Minnesänger-Fest seinen Segen zu geben, wenn Tannhäusers
Gesang diesen „Sängerstreit“ gewinne.
Happy end!!!
Happy end?!?
Leider nein! Wagner ist
keine Rosamunde Pilcher! Und es wäre kein Wagner, würde die Oper
keine weiteren zwei Stunden noch dauern. Aber keine Angst, ich mach
es jetzt ganz schnell:
Das Fest beginnt und
jeder Minnesänger soll ein Lied zum Thema „Liebe“ zum Besten
geben, worauf der Sänger mit dem besten Lied zum Sieger gekürt
wird. Den Gewinn beschreibt der Landgraf wie folgt:
„Wer sie [die Liebe] am
würdigsten besingt, dem reich' Elisabeth den Preis, er fordre ihn so
hoch und kühn er wolle ...“
Na, wenn das kein
verlockendes Angebot ist. Es sei jeder Leser selbst aufgefordert,
seine Fantasie anzuregen, was damit gemeint sein könnte!
Und dann beginnt der
Wettstreit: Wolfram ist der erste und besingt die Liebe sehr
schwülstig als Wunderbrunnen mit reinstem Wasser, den man nur
anbeten, aber nicht berühren und das Wasser besudeln dürfe.
Tannhäuser entgegnet,
dass auch er diesen Brunnen kenne und schätze, aber sich diesem
nicht ohne heißer Sehnsucht nähern könne, um seinen brennenden
Durst zu stillen. Ja, Tannhäuser wird sogar besonders bildlich und
sagte relativ unverfroren, dass, wenn er Durst hätte, er einfach
getrost seine Lippen an den Brunnen lege, um in vollen Zügen die
Wonne zu trinken, da sein Verlangen nie erlösche.
(Ja, mit solchen Bilder
spielte auch schon der gute alte Wagner …)
Man kann sich vorstellen,
dass Tannhäusers Ansicht etwas Befremden in den Reihen der
jungfräulichen Minnesänger auslöste, da diese doch etwas von
Wolframs Ideal abwich. Von den Minnesängern wird Tannhäusers
frivole Weise verurteilt, da es gelte, das Herz zu laben und nicht den
Gaumen. Doch Tannhäuser wirft entgegen, dass man Himmel und Sterne
anbeten solle, doch die Liebe sei rein des Genusses wegen da. Des
Weiteren beschimpfte er die Minnesänger keine Ahnung von der Liebe
und dem Tuten und Blasen zu haben, da sie all das noch nie sehen und
erleben durften (seine Venus Fantasien kommen langsam wieder hoch).
Wolfram versucht die gespannte Situation zu schlichten und fängt ein
besänftigendes Lied an … doch Tannhäuser unterbricht ihn (Minute
1:24 in der Hörprobe) … seine Venus-Fantasien, seine körperlichen
Begierden, seine Geilheit haben wieder ganz Besitz von ihm ergriffen.
Das findet musikalisch in Tannhäusers Gesang, wie könnte es anders
sein, durch das Lust-Motiv (Thema Nummer 2 der Ouvertüre) Ausdruck.
Und Tannhäuser singt mit
Inbrunst im Wahn:
„Dir, Göttin der Liebe,
soll mein Lied ertönen!
Gesungen laut sei jetzt dein Preis von mir!
Dein süsser Reiz ist Quelle alles Schönen,
und jedes holde Wunder stammt von dir.
Wer dich mit Glut in seinen Arm geschlossen,
was Liebe ist, kennt er, nun er allein: -
Armsel'ge, die ihr Liebe nie genossen,
zieht hin, zieht in den Berg der Venus ein!“
Gesungen laut sei jetzt dein Preis von mir!
Dein süsser Reiz ist Quelle alles Schönen,
und jedes holde Wunder stammt von dir.
Wer dich mit Glut in seinen Arm geschlossen,
was Liebe ist, kennt er, nun er allein: -
Armsel'ge, die ihr Liebe nie genossen,
zieht hin, zieht in den Berg der Venus ein!“
Mit Göttin der Liebe
meint er natürlich nicht Elisabeth, welche ganz in keuschem, unschuldigem Weiß so hilflos
da sitzt und gar nicht genau weiß, von was der fleischeslüsterne, vor Geilheit triefende
Tannhäuser da singt. Die Minnesänger-Gemeinde ist schockiert (und
vielleicht auch ein bisschen neidisch), da Tannhäuser mit diesen
Worten seine Unzucht, seine Orgien im Berg der Venus eingesteht.
Tannhäuser wird
gezwungen, mit dem Pilgerzug (Leitmotiv Nummer 1) nach Rom zu
pilgern, um beim Papst um Gnade und um Erlass der Sünden zu beten.
Wird der Papst Tannhäuser
empfangen und seine Sünden vergeben? Oder verwendet Wagner die Figur
des Papstes nur, um eine radikale Kirchenkritik in Opernform zu üben?
Kann Elisabeth einem geläuterten Tannhäuser noch einmal verzeihen?
Kann Tannhäuser seine Sexsucht besiegen und friedvoll mit Elisabeth
zusammenleben? Werden die beiden Flitterwochen im Venusberg machen?
Oder sind beide längst zum Tode verdammt?
Das sind alles sehr
berechtigte Fragen, die allerdings nicht im Rahmen dieses Artikels
beantwortet werden müssen, da hier nur die Verwendung der Leitmotive
in einer Wagneroper vorgestellt werden sollten. Ich hoffe, dies wurde
eindrucksvoll anhand beider Leitmotive an prägnant Stellen
vorgeführt. Man merkt aber beim Hören aller durchkomponierten
Wagner-Opern, dass die Motive fast ständig präsent sind und in
variierter Weise stets wiederkehren.
Im nächsten Artikel
verlassen wir den sündigen Venusberg und besuchen den Salon einer
Edelhure in Paris ... Das ist der Stoff, aus dem Opern gemacht sind!
Was eine Schreibkunst! Lebhaft und informativ beschrieben, kommt die Frage auf, möchte man nun ewig mit ihr ruhend Elisabeth's Hand küssen oder die Sinne schweifen lassen, ganz nach Venus Allüre.
AntwortenLöschenEs ist falsch. Es gibt mehr Leitmotive und Unterteilungen. Zum Beispiel am Anfang der pilgerchoral, dann das Reue Motiv, Wieder Kehr des Pilgerchorals und noch viel mehr Leitmotive
AntwortenLöschenWoher ich das Weiß: Musik studium