Dienstag, 10. Dezember 2013

3. "Die Oper und das Leitmotiv" - Puccinis "Tosca"


Um es gleich offen auszusprechen: „Tosca“ gehört nicht nur zu den musikalischen Höhepunkten der Opernliteratur, sondern auch zu den spannendsten Thrillern der Musikgeschichte. Es handelt sich hier um den wohl bekanntesten Erotik-Thriller, der es je auf die Opernbühne geschafft hat. Zu danken ist hierfür zunächst den beiden Schriftstellern Giuseppe Giacosa (1847-1906) und Luigi Illica (1857-1919), die das Libretto zu „Tosca“ geschrieben haben. Das Kompositionsgenie Giacomo Puccini (1858-1924) tat das Seine, um die starke Handlung effektvoll und würdig in Musik umzusetzen. Dabei ist ein Meisterwerk entstanden, das einen unvergänglichen Platz am Opernhimmel gefunden hat.


Ehrlich gestanden, sollte man diese Oper in einem Zuge selbst anhören, anstatt sie im Rahmen eines Artikels auf Leitmotive zu zerlegen. Trotzdem versuche ich eine Idee von der Genialität dieser Oper mit meinen schwachen Worten (aber guten Hörbeispielen) zu vermitteln.

Zunächst sei die Vorgeschichte erwähnt, um den Handlungskontext erahnen zu können:

Wir befinden uns in der Zeit nach der französischen Revolution. Napoleon hat in Frankreich bereits das Ruder übernommen und versucht durch ständige Feldzüge sukzessiv seine Macht in Europa zu festigen. Besonderer Feind stellt hierbei das zentral gelegene Österreich, das zu jener Zeit von den Habsburgern regiert wird, dar. So kommt es, dass Napoleon in das damals zu Österreich gehörende Norditalien einmarschiert und dieses auch erobert. Siegessicher, wie Napoleon war, gelingt es ihm des Weiteren sogar die Dogen von Venedig abzusetzen und den Papst aus Rom zu vertreiben. So wird aus dem Kirchenstaat im Frühjahr 1798 die „römische Republik“. Einer der Stadthalter in dieser jungen Republik heißt Angelotti, ein Napoleon-Treuer und Schlüsselfigur der Oper.

Allerdings gefällt die neue Republik dem Königreich Neapel im Süden gar nicht und dieses beschließt Rom zurückzuerobern und erklärt den Krieg. (Der König von Neapel war nämlich mit einer Habsburgerin verheiratet und somit ziemlich gegen Napoleon eingestellt.) Nach einigem Hin und Her besetzt Neapel 1799 Rom und wirft die Stadthalter der Republik (darunter auch Angelotti) ins Gefängnis der Engelsburg, das unter der Aufsicht des Polizeichefs Scarpia steht, der skrupellos ehemalige Republikaner verfolgt und hinrichtet. Und in diesem historischen Kontext beginnt eine der größten Opern der Welt …

Der erste Akt beginnt mit der Flucht von Angelotti aus der Engelsburg, der sich in der Gruft seiner Familie in einer Kirche Roms verstecken möchte. In dieser Kirche malt sein Freund und Gesinnungsgenosse Mario Cavaradossi zurzeit zufällig auch ein Altargemälde.

Gleich zu Beginn der Oper kann man sehr dicht aufeinanderfolgende Leitmotive erkennen.

Puccini nimmt die Leitmotiv-Technik zwar nicht ganz so ernst wie Richard Wagner (1813-1883), verwendete sie aber häufiger und gewissenhafter als Spannungselemente wie Giuseppe Verdi (1813-1901). Man kann überspitzt sagen, Puccini ist die schönste Frucht der mühsamen Vorarbeit der beiden Älteren. Puccini geht bei den Leitmotiven sogar so weit, dass er jeder Person ein eigenes Thema zuordnet. Ein paar sehr prägnante werden uns in diesem Artikel begegnen.

Die Oper beginnt ohne Ouvertüre mit mächtigen, martialischen Akkorden, welche die Schreckensherrschaft von Scarpia darstellen sollen. Es handelt sich hierbei um das Scarpia-Motiv. Diesem folgt in Minute 0:08 der Hörprobe das gehetzte Motiv des sich auf der Flucht befindlichen Angelottis. Diese Themen werden sich durch die ganze Oper hindurchziehen und sowohl bei Erscheinen der Personen das Klangbild prägen als auch, wenn nur die Rede von ihnen ist. Das belegt auch schon die Anfangssequenz, in der Angelotti den heimlich hinterlegten Schlüssel zur Familiengruft sucht. Man achte auf das immer wiederkehrende Angelotti-Motiv in der Hörprobe:




Cavaradossi verspricht Angelotti bedingungslose Hilfe und möchte ihn in einem Geheimversteck im Brunnen des Gartens seiner Villa verstecken. Allerdings werden beide, als sie die Kirche verlassen wollen, von Tosca, der Geliebten von Cavaradossi, gestört, welche dieser von Weitem schon seinen Namen frenetisch schreien hört („Mario, Mario, Mario!!!“). Da Cavaradossi zwar Tosca von Herzen liebt, aber befürchtet, dass sie ein Geheimnis nicht sonderlich gut für sich behalten könne, beschließt er, ihr nichts von Angelottis Flucht zu erzählen und versteckt Angelotti vor ihr. Als Tosca dann die Bühne betritt (0:09), erklingt das weltbekannte und wunderschöne Tosca-Thema, das die Oper ebenfalls durch jeden Akt begleiten wird und zu einem der berühmtesten Liebesmotiven der Musik avancierte.




Dass Cavaradossi die Flucht Angelottis vor Tosca geheim halten möchte, ist zwar prinzipiell eine gute Idee, leider ist die gute Tosca krankhaft eifersüchtig und vermutet sofort eine heimliche Geliebte hinter Cavaradossis hektischem, ausweichendem Verhalten. Cavaradossi gelingt es schließlich doch, Tosca zu beruhigen und abzuwimmeln und geht mit Angelotti ab zum Geheimversteck im Brunnen.

Nach einer Weile tritt der böse Polizeichef Scarpia mit seinem Gefolge auf, der versessen auf der Suche nach dem Flüchtigen Angelotti ist. Die Tatsache, dass in dieser Kirche sich die Gruft von Angelottis Familie befindet, hat Scarpia hergeführt und weitere Indizien erhärten Scarpias Verdacht, dass dieser von Cavaradossi gedeckt wird. Als schließlich Tosca wieder auftaucht, spielt Scarpia so mit den Gefühlen der eigentlich unwissenden Tosca, sodass er ihre Eifersucht wegen einer vermeintlichen Geliebten Cavaradossis derart schürt, sodass Tosca schnurstracks zu dessen Villa läuft, um diesen zur Rede zu stellen. Scarpia befiehlt seinen Lakaien, ihr heimlich zu folgen, um mögliche Geheimverstecke ausfindig zu machen und sowohl Angelotti als auch Cavaradossi gefangen zu nehmen.

Kluger Zug von Scarpia, nicht wahr?! Er benutzt die Gefühle der sensiblen, naiven Tosca, um seinen eigentlichen Plan zu verfolgen und dem Ziel, Republikaner zu töten, näher zu kommen. 

Nachdem Tosca voller (ungerechtfertigter) Eifersucht aus der Kirche gelaufen ist, offenbart sich Scarpias wahre Absicht: Angelotti und Cavaradossi zu exekutieren und Tosca als seine eigene Geliebte zu nehmen. Dieser finstere Plan wird als bombastischer, morbid-triumphaler Trauermarsch inszeniert, der zu den gewaltigsten Aktabschlüssen der Operngeschichte gehört. Man achte auf die vielen versteckten, aber uns schon bekannten Leitmotive (zu Beginn beispielsweise das Angelotti-Motiv und am Ende das Scarpia-Motiv):




Geil, nicht wahr?

Ende des ersten Akts! Der zweite Akt beginnt ebenso unversöhnlich wie der erste Akt aufhört! Dieser spielt in Scarpias Büro im Palazzo Farnes, einem der wohl schönsten Renaissance-Paläste der Welt.

Doch bevor ich versuche die weitere Handlung wiederzugeben, eine kurze Erklärung, was in der Zwischenzeit passiert ist:

Tosca stürmte tobend in die Villa von Cavaradossi und machte ihm schwere Vorwürfe. Cavaradossi konnte Tosca zwar beruhigen, aber nur mit dem Preis, ihr über Angelotti und dessen Versteck als Beweis zu erzählen, dass keine Geliebte im Spiel war. Scarpias Männer stürmten darauf ebenfalls die Villa und durchsuchten sie nach Angelotti, den sie allerdings nicht finden konnten. Unabhängig davon nahmen sie Cavaradossi fest und führten ihn zu Scarpia ins Büro in den schönen Palazzo Farnese.
Dort wollen sie nun Cavaradossi unter Folter zum Reden bringen, was vorerst nicht gelingt. Erst als Scarpia Tosca das Geschrei Cavaradossis unter Folter hören lässt, wird diese schwach und verrät das Geheimversteck Angelottis im Brunnen. Scarpia lässt die Folter Cavaradossis beenden. Cavaradossi hingegen ist Tosca nicht dankbar, sondern verurteilt nun Tosca als Verräterin, da sie seinen Freund Angelotti verraten hat. (Er hat also ursprünglich gut daran getan, Tosca nichts von der Flucht zu erzählen, da sie offensichtlich wirklich das schwächste Glied in der Kette ist). Im selben Moment kommt ein Bote herein und verkündet den Sieg Napoleons über das habsburgische Heer bei Marengo. Somit sind die Stunden der Schreckensherrschaft Scarpias gezählt, was diesen aber nicht davon abhält, Cavaradossis und Angelottis Hinrichtung auf der Engelsburg zu befehlen. Cavaradossi, der ja selbst leidenschaftlicher Republikaner ist und durch den Sieg Napoleons wieder Hoffnung sieht, wird unter leidenschaftlichen Siegeshymnen abgeführt. Toscas Schmerz, da Cavaradossi sie nun wegen ihres Verrats durch Liebe verachtet, findet natürlich auch ein Motiv bei 0:55. Das ist ganz große Oper!!!




So bleiben Tosca und Scarpia alleine zurück. Scarpia macht Tosca ein Angebot: Wenn sie mit ihm die Nacht verbringe, würde er eine Scheinexekution Cavaradossis arrangieren und den beiden einen Passierschein ausstellen, damit beide Rom verlassen können. Tosca leidet unter der Vorstellung, dass sie ihren Körper hergeben müsse, um das Leben ihres Geliebten, der sie nun verachtet, zu retten. In dieser tragischen Situation singt sie eine der bekanntesten Arien der Oper, um ihr Leid zu schildern. Diese wird von dem Tosca-Thema aus dem ersten Akt melodisch getragen und gilt als Glanzstück des Repertoires:




Tosca willigt auf Scarpias Angebot ein, bittet diesen aber, zunächst den Befehl für die Scheinexekution zu geben sowie den Passierschein auszustellen. Gesagt, getan! Scarpia ruft einen Boten, den er mitteilt, eine Hinrichtung entsprechend zu arrangieren. Wieder alleine mit Tosca stellt er den Passierschein aus und freut sich auf eine hocherotische Nacht mit Tosca. Doch statt ihrer heißen Lippen bekommt Scarpia ihren Dolch zu spüren, den sie ihm mit den Worten „Das ist der Kuss Toscas!“ überraschend in dessen Busen rammt.

Niemand hasst so leidenschaftlich und kompromisslos wie eine ins Eck gedrängte Frau  ...

Tosca entreißt dem sterbenden Scarpia den Schein und arrangiert die Kerzenleuchter und ein Kruzifix szenisch eindrucksvoll, um den Tod des Feindes auf morbide Weise zu zelebrieren. In diesem Schluss des 2. Aktes entspinnt sich eine Abwandlung des Trauermarsches vom ersten Akt mit gewaltiger Intensität. Es ist nun nicht mehr Scarpias finsterer Hymnus, nun ist es Toscas tragischer Triumph. Ganz am Ende erklingt noch das Scarpia-Motiv als leiser werdender Herzschlag eines Sterbenden im Todesklang. Ein Röcheln, das in sich erstirbt ….




Und dann folgt der dritte Akt! Oh mein Gott, dann folgt der dritte Akt!!! Der Showdown auf der Engelsburg!!! Was wird aus Angelotti? Wird Cavaradossi Tosca vergeben? Wird ihnen die Flucht aus Rom gelingen? Bleibt Toscas kaltblütiger Mord unentdeckt? Gibt es auch im dritten Akt unsterbliche Melodien?

Drei Sachen seien erwähnt:

1) Es gibt weitere weltbekannte Melodien.
2) Auch die Leitmotive kommen nicht zu kurz.
3) Ich würde alles geben, das Endes der Oper noch einmal erleben zu können, ohne dieses bereits zu kennen. Das ist ein Showdown, der Geschichte machte!!!

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Soviel zu den Leitmotiven bei Wagner, Verdi und Puccini. Auch wenn sie in dieser Hinsicht viele unterschiedliche Zugänge zeigen, eint sie doch eine Tatsache:

Die Zeitlosigkeit der Musik und die vollendete Darstellung von Gefühlen und Leidenschaften, die uns heute noch so bewegen, als wären sie uns selbst widerfahren.






3 Kommentare:

  1. es gibt viel mehr leitmotive in der oper als hier angegeben...

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    1. mit sicherheit! ich denke, dieser artikel versteht sich aber eher als einführung sowie als anregung und nicht als umfassende musiktheoretische werkanalyse.

      und unter diesem gesichtspunkt kann dieser artikel auch opern-einsteigern lust auf dieses faszinierende werk und oper allgemein machen. insofern bin ich dankbar für solche annäherungen an die klassische musik.

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  2. Vielen Dank, ist eine sehr gute Übersicht.

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