Um
es gleich offen auszusprechen: „Tosca“ gehört nicht nur zu den
musikalischen Höhepunkten der Opernliteratur, sondern auch zu den
spannendsten Thrillern der Musikgeschichte. Es handelt sich hier um
den wohl bekanntesten Erotik-Thriller, der es je auf die Opernbühne
geschafft hat. Zu danken ist hierfür zunächst den beiden Schriftstellern
Giuseppe Giacosa (1847-1906) und Luigi Illica (1857-1919), die das Libretto zu „Tosca“
geschrieben haben. Das Kompositionsgenie Giacomo Puccini (1858-1924) tat das
Seine, um die starke Handlung effektvoll und würdig in Musik
umzusetzen. Dabei ist ein Meisterwerk entstanden, das einen
unvergänglichen Platz am Opernhimmel gefunden hat.
Ehrlich
gestanden, sollte man diese Oper in einem Zuge selbst anhören,
anstatt sie im Rahmen eines Artikels auf Leitmotive zu zerlegen.
Trotzdem versuche ich eine Idee von der Genialität dieser Oper mit
meinen schwachen Worten (aber guten Hörbeispielen) zu vermitteln.
Zunächst
sei die Vorgeschichte erwähnt, um den Handlungskontext erahnen zu
können:
Wir
befinden uns in der Zeit nach der französischen Revolution. Napoleon
hat in Frankreich bereits das Ruder übernommen und versucht durch
ständige Feldzüge sukzessiv seine Macht in Europa zu festigen.
Besonderer Feind stellt hierbei das zentral gelegene Österreich, das
zu jener Zeit von den Habsburgern regiert wird, dar. So kommt es,
dass Napoleon in das damals zu Österreich gehörende Norditalien
einmarschiert und dieses auch erobert. Siegessicher, wie Napoleon
war, gelingt es ihm des Weiteren sogar die Dogen von Venedig
abzusetzen und den Papst aus Rom zu vertreiben. So wird aus dem
Kirchenstaat im Frühjahr 1798 die „römische Republik“. Einer
der Stadthalter in dieser jungen Republik heißt Angelotti, ein
Napoleon-Treuer und Schlüsselfigur der Oper.
Allerdings
gefällt die neue Republik dem Königreich Neapel im Süden gar nicht
und dieses beschließt Rom zurückzuerobern und erklärt den Krieg.
(Der König von Neapel war nämlich mit einer Habsburgerin
verheiratet und somit ziemlich gegen Napoleon eingestellt.) Nach
einigem Hin und Her besetzt Neapel 1799 Rom und wirft die Stadthalter
der Republik (darunter auch Angelotti) ins Gefängnis der Engelsburg,
das unter der Aufsicht des Polizeichefs Scarpia steht, der skrupellos
ehemalige Republikaner verfolgt und hinrichtet. Und in diesem
historischen Kontext beginnt eine der größten Opern der Welt …
Der
erste Akt beginnt mit der Flucht von Angelotti aus der Engelsburg,
der sich in der Gruft seiner Familie in einer Kirche Roms verstecken
möchte. In dieser Kirche malt sein Freund und Gesinnungsgenosse
Mario Cavaradossi zurzeit zufällig auch ein Altargemälde.
Gleich
zu Beginn der Oper kann man sehr dicht aufeinanderfolgende Leitmotive
erkennen.
Puccini
nimmt die Leitmotiv-Technik zwar nicht ganz so ernst wie Richard Wagner (1813-1883),
verwendete sie aber häufiger und gewissenhafter als
Spannungselemente wie Giuseppe Verdi (1813-1901). Man kann überspitzt sagen, Puccini ist
die schönste Frucht der mühsamen Vorarbeit der beiden Älteren.
Puccini geht bei den Leitmotiven sogar so weit, dass er jeder Person
ein eigenes Thema zuordnet. Ein paar sehr prägnante werden uns in
diesem Artikel begegnen.
Die
Oper beginnt ohne Ouvertüre mit mächtigen, martialischen Akkorden,
welche die Schreckensherrschaft von Scarpia darstellen sollen. Es handelt sich hierbei um das Scarpia-Motiv. Diesem
folgt in Minute 0:08 der Hörprobe das gehetzte Motiv des sich auf
der Flucht befindlichen Angelottis. Diese Themen werden sich durch
die ganze Oper hindurchziehen und sowohl bei Erscheinen der Personen
das Klangbild prägen als auch, wenn nur die Rede von ihnen ist. Das
belegt auch schon die Anfangssequenz, in der Angelotti den heimlich
hinterlegten Schlüssel zur Familiengruft sucht. Man achte auf das
immer wiederkehrende Angelotti-Motiv in der Hörprobe:
Cavaradossi
verspricht Angelotti bedingungslose Hilfe und möchte ihn in einem
Geheimversteck im Brunnen des Gartens seiner Villa verstecken.
Allerdings werden beide, als sie die Kirche verlassen wollen, von
Tosca, der Geliebten von Cavaradossi, gestört, welche dieser von
Weitem schon seinen Namen frenetisch schreien hört („Mario, Mario, Mario!!!“). Da Cavaradossi zwar Tosca von Herzen liebt, aber
befürchtet, dass sie ein Geheimnis nicht sonderlich gut für sich
behalten könne, beschließt er, ihr nichts von Angelottis Flucht zu
erzählen und versteckt Angelotti vor ihr. Als Tosca dann die Bühne
betritt (0:09), erklingt das weltbekannte und wunderschöne Tosca-Thema, das
die Oper ebenfalls durch jeden Akt begleiten wird und zu einem der
berühmtesten Liebesmotiven der Musik avancierte.
Dass
Cavaradossi die Flucht Angelottis vor Tosca geheim halten möchte,
ist zwar prinzipiell eine gute Idee, leider ist die gute Tosca
krankhaft eifersüchtig und vermutet sofort eine heimliche Geliebte
hinter Cavaradossis hektischem, ausweichendem Verhalten. Cavaradossi
gelingt es schließlich doch, Tosca zu beruhigen und abzuwimmeln und
geht mit Angelotti ab zum Geheimversteck im Brunnen.
Nach
einer Weile tritt der böse Polizeichef Scarpia mit seinem Gefolge
auf, der versessen auf der Suche nach dem Flüchtigen Angelotti ist.
Die Tatsache, dass in dieser Kirche sich die Gruft von Angelottis
Familie befindet, hat Scarpia hergeführt und weitere Indizien
erhärten Scarpias Verdacht, dass dieser von Cavaradossi gedeckt
wird. Als schließlich Tosca wieder auftaucht, spielt Scarpia so mit
den Gefühlen der eigentlich unwissenden Tosca, sodass er ihre
Eifersucht wegen einer vermeintlichen Geliebten Cavaradossis derart schürt,
sodass Tosca schnurstracks zu dessen Villa läuft, um diesen
zur Rede zu stellen. Scarpia befiehlt seinen Lakaien, ihr heimlich zu
folgen, um mögliche Geheimverstecke ausfindig zu machen und
sowohl Angelotti als auch Cavaradossi gefangen zu nehmen.
Kluger
Zug von Scarpia, nicht wahr?! Er benutzt die Gefühle der sensiblen,
naiven Tosca, um seinen eigentlichen Plan zu verfolgen und dem Ziel,
Republikaner zu töten, näher zu kommen.
Nachdem
Tosca voller (ungerechtfertigter) Eifersucht aus der Kirche gelaufen
ist, offenbart sich Scarpias wahre Absicht: Angelotti und Cavaradossi
zu exekutieren und Tosca als seine eigene Geliebte zu nehmen. Dieser
finstere Plan wird als bombastischer, morbid-triumphaler Trauermarsch
inszeniert, der zu den gewaltigsten Aktabschlüssen der
Operngeschichte gehört. Man achte auf die vielen versteckten, aber
uns schon bekannten Leitmotive (zu Beginn beispielsweise das
Angelotti-Motiv und am Ende das Scarpia-Motiv):
Geil,
nicht wahr?
Ende
des ersten Akts! Der zweite Akt beginnt ebenso unversöhnlich wie der
erste Akt aufhört! Dieser spielt in Scarpias Büro im Palazzo
Farnes, einem der wohl schönsten Renaissance-Paläste der Welt.
Doch
bevor ich versuche die weitere Handlung wiederzugeben, eine kurze
Erklärung, was in der Zwischenzeit passiert ist:
Tosca
stürmte tobend in die Villa von Cavaradossi und machte ihm schwere
Vorwürfe. Cavaradossi konnte Tosca zwar beruhigen, aber nur mit dem
Preis, ihr über Angelotti und dessen Versteck als
Beweis zu erzählen, dass keine Geliebte im Spiel war. Scarpias Männer stürmten
darauf ebenfalls die Villa und durchsuchten sie nach Angelotti, den
sie allerdings nicht finden konnten. Unabhängig davon nahmen sie
Cavaradossi fest und führten ihn zu Scarpia ins Büro in den schönen
Palazzo Farnese.
Dort
wollen sie nun Cavaradossi unter Folter zum Reden bringen, was
vorerst nicht gelingt. Erst als Scarpia Tosca das Geschrei
Cavaradossis unter Folter hören lässt, wird diese schwach und
verrät das Geheimversteck Angelottis im Brunnen. Scarpia lässt die
Folter Cavaradossis beenden. Cavaradossi hingegen ist Tosca nicht
dankbar, sondern verurteilt nun Tosca als Verräterin, da sie seinen
Freund Angelotti verraten hat. (Er hat also ursprünglich gut daran
getan, Tosca nichts von der Flucht zu erzählen, da sie
offensichtlich wirklich das schwächste Glied in der Kette ist). Im
selben Moment kommt ein Bote herein und verkündet den Sieg Napoleons
über das habsburgische Heer bei Marengo. Somit sind die Stunden der
Schreckensherrschaft Scarpias gezählt, was diesen aber nicht davon
abhält, Cavaradossis und Angelottis Hinrichtung auf der Engelsburg
zu befehlen. Cavaradossi, der ja selbst leidenschaftlicher
Republikaner ist und durch den Sieg Napoleons wieder Hoffnung sieht,
wird unter leidenschaftlichen Siegeshymnen abgeführt. Toscas
Schmerz, da Cavaradossi sie nun wegen ihres Verrats durch Liebe
verachtet, findet natürlich auch ein Motiv bei 0:55. Das ist ganz
große Oper!!!
So
bleiben Tosca und Scarpia alleine zurück. Scarpia macht Tosca ein
Angebot: Wenn sie mit ihm die Nacht verbringe, würde er eine
Scheinexekution Cavaradossis arrangieren und den beiden einen
Passierschein ausstellen, damit beide Rom verlassen können. Tosca
leidet unter der Vorstellung, dass sie ihren Körper hergeben müsse,
um das Leben ihres Geliebten, der sie nun verachtet, zu retten. In
dieser tragischen Situation singt sie eine der bekanntesten Arien der
Oper, um ihr Leid zu schildern. Diese wird von dem Tosca-Thema aus
dem ersten Akt melodisch getragen und gilt als Glanzstück des
Repertoires:
Tosca
willigt auf Scarpias Angebot ein, bittet diesen aber, zunächst den
Befehl für die Scheinexekution zu geben sowie den Passierschein
auszustellen. Gesagt, getan! Scarpia ruft einen Boten, den er
mitteilt, eine Hinrichtung entsprechend zu
arrangieren. Wieder alleine mit Tosca stellt er den Passierschein aus
und freut sich auf eine hocherotische Nacht mit Tosca. Doch statt
ihrer heißen Lippen bekommt Scarpia ihren Dolch zu spüren, den sie ihm mit
den Worten „Das ist der Kuss Toscas!“ überraschend in dessen
Busen rammt.
Niemand
hasst so leidenschaftlich und kompromisslos wie eine ins Eck gedrängte Frau ...
Tosca
entreißt dem sterbenden Scarpia den Schein und arrangiert die
Kerzenleuchter und ein Kruzifix szenisch eindrucksvoll, um den Tod des Feindes auf morbide Weise zu zelebrieren. In
diesem Schluss des 2. Aktes entspinnt sich eine Abwandlung des
Trauermarsches vom ersten Akt mit gewaltiger Intensität. Es
ist nun nicht mehr Scarpias finsterer Hymnus, nun ist es Toscas
tragischer Triumph. Ganz am Ende erklingt noch das Scarpia-Motiv als
leiser werdender Herzschlag eines Sterbenden im Todesklang. Ein
Röcheln, das in sich erstirbt ….
Und
dann folgt der dritte Akt! Oh mein Gott, dann folgt der dritte Akt!!!
Der Showdown auf der Engelsburg!!! Was wird aus Angelotti? Wird
Cavaradossi Tosca vergeben? Wird ihnen die Flucht aus Rom gelingen?
Bleibt Toscas kaltblütiger Mord unentdeckt? Gibt es auch im dritten
Akt unsterbliche Melodien?
Drei
Sachen seien erwähnt:
1)
Es gibt weitere weltbekannte Melodien.
2)
Auch die Leitmotive kommen nicht zu kurz.
3)
Ich würde alles geben, das Endes der Oper noch einmal erleben zu
können, ohne dieses bereits zu kennen. Das ist ein Showdown, der
Geschichte machte!!!
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Soviel zu den Leitmotiven
bei Wagner, Verdi und Puccini. Auch wenn sie in dieser Hinsicht viele
unterschiedliche Zugänge zeigen, eint sie doch eine Tatsache:
Die Zeitlosigkeit der
Musik und die vollendete Darstellung von Gefühlen und
Leidenschaften, die uns heute noch so bewegen, als wären sie uns
selbst widerfahren.
es gibt viel mehr leitmotive in der oper als hier angegeben...
AntwortenLöschenmit sicherheit! ich denke, dieser artikel versteht sich aber eher als einführung sowie als anregung und nicht als umfassende musiktheoretische werkanalyse.
Löschenund unter diesem gesichtspunkt kann dieser artikel auch opern-einsteigern lust auf dieses faszinierende werk und oper allgemein machen. insofern bin ich dankbar für solche annäherungen an die klassische musik.
Vielen Dank, ist eine sehr gute Übersicht.
AntwortenLöschenSehr Geil!!
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