Vor wenigen Wochen saß
ich mit zwei Spaniern und einem kunstsinnigen Gitarristen bei einem Glas
Rioja beisammen und sinnierte über die spanische Kunst. Nach einigen
Gläsern Wein kamen wir auf die spanische Musik zu sprechen. Ich erkannte sehr schnell, dass ich herzlich wenig darüber wusste. Nicht
so mein kunstsinniger Freund: Stolz stand er auf, nahm seine Gitarre in die Hand und sagte, dass er
drei typisch spanische Melodien kenne und nun spielen möchte. Dies tat er dann auch voller
Leidenschaft und summte laut mit.
Nachdem er endete und
stürmischen Beifall erwartete, erhielt er von den Spaniern nur Spott
und Hohn, und auch ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
Der Grund hierfür war
aber keinesfalls seine schwache Performance, nein, der Grund lag ganz
wo anders. Nachdem der Freund auf die tiefe Gültigkeit dieser
spanischen Melodien beharrte, begann ich zu verstehen, dass es sich
hierbei um ein Missverständnis handeln musste, dem ein Großteil der Welt unterliegt und für den wahren Spanier schmerzlich sein muss.
Die drei „spanischen“
Melodien stammen aus dem selben Werk: In diesem erklingt zu Beginn die
Musik eines spanischen Volksfestes, später die Hymne eines Toreros
(1:05) und ein andalusisch-maurisches Schicksalsmotiv (2:11)!
Man könnte in der Tat
meinen, dass es sich hier um die reinste Form des spanischen Klangs
handle.
Wer sich dieser Ansicht
weiterhin hingeben möchte, dem sei sie unbenommen. Für alle anderen
folgt nun eine Klarstellung.
Ja, die Mehrheit hätte
man auf seiner Seite. Wenn man diese Hörprobe als spanische Musik
ausgibt, so wird man beinahe auf der ganzen Welt Zustimmung finden.
Es gibt lediglich zwei Ausnahmen, welche sehr irritiert und ablehnend
auf diese Feststellung reagieren werden: Spanier und Musikkenner!
Warum lehnen ausgerechnet
die Spanier spanische Musik ab?
Ganz einfach: Weil es
sich bei der Hörprobe um die Ouvertüre einer der größten
französischen Nationalopern namens „Carmen“ handelt, welche
zufällig in Spanien (Sevilla/Andalusien) spielt. Die Musik ist daher eine
typisch französische, die spanischen Klang zu imitieren versucht.
Das gelang dem Komponisten Georges Bizet (1838-1875) auch sehr gut,
weshalb die Oper (leider erst nach Bizets Tod) ein weltweiter Erfolg
wurde und heute zu den am häufigsten aufgeführten Opern der Welt
gehört. Da Bizet jedoch Spanien nie besucht hatte und diese Kultur
nur sehr flüchtig kannte, gelang ihm zwar ein Opernmeisterwerk aber keine authentische spanische Musikstudie. Es wird fast keine
spanische Folklore verwendet, sondern nur mit spanischen Wendungen
gespielt. Selbst ein Angebot, dass Bizet nach Spanien zur
musikalischen Recherche fahren solle, lehnte er entschieden mit den
stolzen Worten ab: „Das würde meine Musik behindern!“
Da aber auch die Spanier ein
Volk mit hohem Nationalbewusstsein sind, ist das wohl der Grund,
warum viele die Bemühungen um den spanischen Klang von Bizets Oper eher
belächeln als bewundern. Aber das soll uns nicht weiter belasten!
Sicher ist, die spanische
Kultur und die spanische Folklore sind wunderschön und sehr viel
älter als Bizets Bemühungen um den spanischen Klang. Speziell im
16. Jahrhundert als Spanien noch das Land der nie untergehenden Sonne
unter der Herrschaft von Karl V. und dessen Sohn Phillip II. war,
erlebte die spanische Musik eine Blühte, welche für die
abendländische Kultur sehr prägend war. Besonders Werke für Laute
und Vihuela (ein der Laute verwandtes Instrument) erfreuten sich am
Hofe größter Beliebtheit.
Allerdings ist die Autorenschaft mancher
Werke bis heute meist umstritten und oft als „anonym“ angegeben.
Doch die Musik ist erhalten und so besitzen wir heute noch
unsterbliche Werke wie „Guardame las vacas“, das wohl eine der
musikalisch wertvollsten Aufforderungen ist, auf die Kühe
aufzupassen:
Doch auch Tänze waren am
spanischen Hofe sehr beliebt wie die folgende „Pavanilla“. Treue
Leser von Sölkners Klassik-Kunde werden hier Grundzüge einer
„Folia“ wiedererkennen:
Aber mal ehrlich: Wenn
wir an Spanien denken, verbinden wir damit meist eine feurig-laszive
Schönheit (männlich oder weiblich), der Verführung mit
Leichtigkeit ein leidenschaftliches Spiel ist.
Auch so etwas gab es in
der Musik am Renaissance-Hofe Spaniens:
Und schon sind wir wieder
bei der Oper „Carmen“, denn genau um eine solche Person dreht
sich die Handlung. Wenn wir die Verführungsarie Carmens hören,
in der ein anfangs pflichtgetreuer Wächter, der sie verhaften
sollte, ihr willenlos verfällt, so können wir die tolle Arbeit
Bizets bewundern. Es ist hierbei wirklich ein beeindruckendes,
intensives Imitat des spanischen-andalusischen Klangs gelungen.
Wir hören eine heißblütige Frau, die nicht mit ihren Reizen geizt
und eine andalusische Melodie über laszive, stoßartige Rhythmik
legt.
Und da soll noch einer sagen, Oper sei fad und angestaubt ... Um so prall gefüllte Dekolletés zu bewundern, muss man in die französische Oper gehen!
Diese Arie ist ein Meisterstück. Aber wohlgemerkt: Es handelt sich um die
geistige Schöpfung eines feuchten Traumes Bizets, der auf keine spanische Folklore zurückgeführt
werden kann. Dennoch sagen hier viele zu Recht: Wenn es schon keine
spanische Musik ist, man könnte diese nicht besser erfinden …
Die bekannteste Arie aus
der Oper, Carmens „Habanera“, ist ein leidenschaftliches,
laszives Geständnis einer Frau, die sehr viel Liebe an sehr viele
Männer zu vergeben hat und besitzt den gleichen Rhythmus wie ein
Tango. Die Melodie lässt sich auf ein Musikstück von
Sebastian de Iradier (1809-1865) zurückführen, der diesen Rhythmus
auf Kuba kennengelernt hat. (Das Wort „Habanera“ leitet sich von
der Hauptstadt Kubas, Havanna, ab!) Somit handelt es sich hier nicht
einmal beim Original um ein echtes spanisches Stück, sondern kommt
von Übersee.
Wie auch immer, es wurde
von Bizet jedoch neu und originell orchestriert:
So ist das also … nicht
alles, was spanisch klingt, ist auch aus Spanien!
So ist es auch mit dem
wunderbaren Luigi Boccherini (1743-1805), seines Zeichens Italiener.
Allerdings ließ er sich in Spanien nieder und studierte die
spanische Tanzmusik. Heraus kam eines der exotischsten
Kammermusikwerke: ein Quintett für Gitarre und Streicher. Dieses hat
sich ganz dem spanischen Tanz „Fandango“ verschrieben:
Olé!!!!
Ich hoffe, ich bin jetzt
nicht der einzige gewesen, der versucht hat, wie ein Torero im Zimmer
herum zu springen.
Aber leider war
Boccherini ein typischer Italiener klassischer Schule. Somit ist
unsere Suche nach dem spanischen Klang noch nicht ganz beendet!
Und jeder, der jetzt
aufspringt und laut schreit, dass der Bolero von Maurice Ravel
(1875-1937) ein typisch spanisches Werk sei, der sei belehrt, dass
auch Ravel eher Franzose war.
Man sieht, wie weit
dieses Missverständnis des wahren spanischen Klangs verbreitet ist!
Da ich aber nicht möchte,
dass meine begeisterten spanischen Leser zu kurz kommen, will ich mit
echten spanischen Klängen des spanischen Komponisten Joaquín
Rodrigo (1901-1999) schließen, dem im 20. Jahrhundert ein zeitloses
Meisterwerk gelungen ist, das mit Fug und Recht als spanisches
Original bezeichnet werden kann:
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