meinen Freunden und Kampfgefährten Andreas Blatt und Ronald Sladky gewidmet
Große Werke sind oft von großen Legenden umgeben.
Historische Tatsachen spielen hierbei meist eine untergeordnete Rolle. Dies
gilt auch für die 5. Symphonie von Ludwig van Beethoven (1770-1827). Der
Legende nach soll hier das Schicksal an die Pforte pochen, wodurch sie den
Namen „Schicksalssymphonie“ erhalten hat. Aufgrund ihrer großen Popularität ist auch
der (nicht von Beethoven stammende) Titel entsprechend weit verbreitet. So
bedarf es großer Meister, um mit der Schicksalslegende zu brechen und das Werk
ins passende Licht zu rücken.
Dies tat Nikolaus Harnoncourt (1929-2016) am 9. und 10.5.2015
im Goldenen Saal des Musikvereins Wien mit seinem Ensemble „Concentus Musicus“.
Das Ergebnis war ein denkwürdiges Konzert, das als Sternstunde in der
Aufführungsgeschichte dieser Symphonie betrachtet werden kann und in seiner
Wirkung weit über den Konzertsaal hinausstrahlen wird.
Foto: Marco Borggreve/Sony Music
Noch bevor der erste Ton der Symphonie erklungen war, widmete Nikolaus Harnoncourt dieser einige einleitende Worte, um sein Anliegen dem Publikum klar vor Augen zu führen: Er wolle die Symphonie auf eine Art wiedergeben, wie es in deren zahllosen Einspielungen verschiedenster Interpreten bislang noch nicht üblich war. Er bemühe sich um Authentizität und um das Streben, Beethovens ursprünglicher Intention etwas näher zu kommen. Dies gelinge nur, wenn man die Mythenbildung über das „Schicksalhafte“ beende. Er fügte als Seitenhieb gegen die Vertreter der „Schicksals“-These hinzu, dass man mit ihnen nachsichtig sein solle, da es sich hierbei nur um „gewöhnliche Trottel“ handle.
Starke Worte, die
gespannt auf eine Begründung warten lassen. Harnoncourt blieb diese nicht
schuldig!
Harnoncourt
vertritt die Ansicht, dass die 5. Symphonie nicht vom Schicksal eines Einzelnen
handle, sondern vom Streben nach Freiheit im Allgemeinen. Dies war zu Zeiten
Beethovens (die Französische Revolution war noch nicht lange her) ein ebenso
brisantes Thema wie heute. Der Symphonie liege also ein zeitloses Programm
zugrunde: jenes der Befreiung. In diesem Kontext handle es sich um Beethovens
einzige politische Symphonie.
Kurzum: Das
Grundmotiv der Symphonie ist kein pochendes Schicksal, das irgendwo rein will,
sondern ein unterdrücktes Volk, das raus will.
Zu diesem Schluss
sei Harnoncourt im Laufe seiner 60 Jahre langen Recherchearbeit gelangt. Im Folgenden sollen die Thesen dargestellt werden, die ihn zu dieser Schlussfolgerung
führten.
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A) "Durch die Nacht zum Licht“ – Die Tonarten
Harnoncourt verwies zunächst auf eine Betrachtung der Tonarten der einzelnen Sätze. Der erste Satz
beginnt in düsterem c-Moll, einer Todestonart. Der zweite Satz steht in einem
schwebenden As-Dur, dem Gegenklang zu c-Moll. Der dritte Satz schwankt zwischen
c-Moll und C-Dur und mündet im 4. Satz, dem Finale, in strahlendes C-Dur.
Allein den Tonarten liege ein geheimes Programm zugrunde: „Durch die Nacht zum
Licht“.
Dies ist aber
durchaus keine Entdeckung Harnoncourts. Bereits Beethovens Zeitgenossen
verwiesen gerne auf die mögliche Symbolik der Tonarten. Am schönsten tat dies
wohl der große romantische Schriftsteller E.T.A.
Hoffmann (1776-1822), der auch als Musikkritiker tätig war.
In einer Rezension
über Beethovens 5. Symphonie schrieb er:
„So öffnet uns auch Beethovens Instrumental-Musik das Reich des Ungeheueren und Unermesslichen. Glühende Strahlen schießen durch dieses Reiches tiefe Nacht, und wir werden Riesenschatten gewahr, die auf- und abwogen, enger und enger uns einschließen, und alles in uns vernichten, nur nicht den Schmerz der unendlichen Sehnsucht, in welcher jede Lust, die, schnell in jauchzenden Tönen emporgestiegen, hinsinkt und untergeht, und nur in diesem Schmerz, der, Liebe, Hoffnung, Freude in sich verzehrend, aber nicht zerstörend, unsre Brust mit einem vollstimmigen Zusammenklange aller Leidenschaften zersprengen will, leben wir fort und sind entzückte Geisterseher.“
Und an späterer
Stelle heißt es bei Hoffmann über das Finale:
„Mit dem prächtigen, jauchzenden Thema des Schlusssatzes,
C Dur, fällt das ganze Orchester […] ein – wie ein strahlendes, blendendes
Sonnenlicht, das plötzlich die tiefe Nacht erleuchtet.“
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B) "Kampf um die Freiheit“ – Das Programm
Harnoncourt führte
weiter aus, dass man mit dem Wissen der Tonartenfolge, jedem Satz ein direktes
Programm unterlegen kann, sodass im gesamten eine Handlung entstehe: "Der Weg von der Unterdrückung in die Freiheit".
1. Satz
Der erste Satz der
Symphonie handle vom Tyrannentum der Herrscher und der Verzweiflung der
Unterdrückten. Das vorgeschriebene Tempo Beethovens mache die Interpretation
eines Klopfens rein rhythmisch unmöglich. Hier sei das Reißen und Rütteln der
Ketten von Gefangenen zu hören, die unter der Gewalt der Machthaber leiden.
Auch Hoffmann kann
dieser Interpretation etwas abgewinnen, wenn er schreibt:
„Beethovens Musik bewegt die Hebel des Schauers, der
Furcht, des Entsetzens, des Schmerzes, und erweckt jene unendliche Sehnsucht,
die das Wesen der Romantik ist.“
Im gesamten Satz
werde die Unterdrückung der Masse dargestellt. Nur einmal komme eine einzelne
Stimmt zu Wort. Es handle sich um jene der Oboe (in Minute 4:09-4:23 der
Hörprobe), die im Orgelregister als „Vox Humana“, als Stimme des Menschen
geführt werde. In diesen wenigen Sekunden klage diese Stimme ihr Leid, als
stünde sie allein im weiten Universum. Doch die Stimme wird sogleich vom
riesigen Orchesterapparat wieder erstickt, der fanatisch dem Ende des Satzes
zustrebt, was die unmenschliche Brutalität nur noch stärker unterstreiche.
Am besten hören wir
dies anhand einer Einspielung, die Harnoncourt einige Jahre zuvor mit dem
„Chamber Orchestra of Europe“ aufgenommen hat:
2. Satz
Nach Harnoncourt handle es sich beim 2. Satz um ein Gebet der Unterdrückten, die sich Friede und Freiheit herbeisehnen und möglicherweise im Stillen auch schon überlegen, wie sie der Gewaltherrschaft ein Ende setzen können.
Nach Harnoncourt handle es sich beim 2. Satz um ein Gebet der Unterdrückten, die sich Friede und Freiheit herbeisehnen und möglicherweise im Stillen auch schon überlegen, wie sie der Gewaltherrschaft ein Ende setzen können.
3. Satz
Dieser Satz, seines
Zeichens ein Scherzo, sei ein Versuch das Tyrannenjoch abzuschütteln. Alle
zuvor insgeheim gefassten Pläne zur Befreiung werden hier in die Tat umgesetzt.
Was als konspirative Vereinigung gegen die Obrigkeit begann, entwickle sich nun
zum offenen Aufstand. Dieser Kampf könne nicht nur anhand der c-Moll und C-Dur
Dualität beobachtet werden, sondern auch anhand der verschiedenen Themen die
sich aneinander abarbeiten:
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Was nun tatsächlich Beethovens wahre Intention gewesen ist, weiß nur Beethoven selbst. Harnoncourts Verdienst ist es, den von Legenden umwobenen Schleier des Werkes zu heben, um eine klarere Sicht darauf zu erhalten. Nur so kann eine unvoreingenommene Meinung entstehen. Alles Weitere obliegt dem Hörer, der sich stets aufs Neue ein eigenes Bild von dem Werk machen muss, um es für sich erschließen zu können.
Der Aufstand
gelingt und der Sturz der Herrscher folgt. So verwundere es nicht, dass der 3.
Satz nahtlos in das triumphale Finale mündet.
4. Satz
Dieses jubelnde,
strahlende Finale birgt die stichhaltigsten Argumente für Harnoncourts These,
dass Beethovens 5. Symphonie eine politische Symphonie sei.
Ein wichtiges Indiz
hierfür liege bereits der Instrumentierung zugrunde, die für die Symphonik zu
Beethovens Zeit eine radikale Neuerung bedeutete. Zum ersten Mal werden in einem symphonischen Werk eine Piccoloflöte, ein Kontrafagott und sogar gleich drei
Posaunen verwendet. Diese Instrumente waren bis zu dieser Zeit nicht im Konzertsaal
üblich, sondern fanden nur in Freiluft zu pompösen Feierlichkeiten unter freiem
Himmel Verwendung. Dass Beethoven diese Instrumente nun im Finale miteinbezieht,
unterstreiche die Würde und die Feierlichkeit des Anlasses und sei ein Indiz
für das radikale Freiheitsstreben an sich.
Das sogar noch
stärkere Indiz für die Untermauerung von Harnoncourts These seien die Zitate aus anderen Werken, die Beethoven in diesem Satz aufgreife und gekonnt zum
Einsatz bringe. So bestehe Verwandtschaft zwischen dem Hauptthema des Satzes und
einem Freiheitschor von François-Joseph Gossec (1734-1829), der 1792 als begeisterte Reaktion auf die
Französische Revolution komponiert wurde. Auch zu weiteren revolutionsnahen Siegeshymnen
bestünden Beziehungen.
Am deutlichsten trete aber ein Motiv in der Durchführung des Finales auf,
das von Beethoven mit „La liberté“ (franz.
für „die Freiheit“) überschrieben worden sei. Spricht man diese Worte aus, so
ergeben sie genau die Noten des von Beethovens komponierten Motivs. Und auch
dieses sei ein Zitat aus einer Hymne, welche im Umfeld der Französischen
Revolution entstanden war. Es handle sich um die „Hymne dithyrambique“ des französischen Komponisten Claude
Joseph Rouget de l'Isle (1760-1836), der als Komponist der heutigen
französischen Nationalhymne, der „Marseillaise“, in die
Geschichte eingegangen war. Das zentrale Losungswort der französischen
Revolution „La liberté“ ist dort mit demselben Motiv verbunden. Bei
Beethoven erklingt dieses Motiv ab Minute 3:57 in der Hörprobe und tritt
besonders deutlich hervor, wenn dieses ab Minute 4:19 von den Posaunen gespielt
wird.
Nach Harnoncourt und darüber hinaus auch nach
weiteren bedeutenden Musikwissenschaftlern wie Arnold Schmitz (1893-1980),
Georg Knepler (1906-2003) und Peter Gülke (*1934) seien dies die gewichtigen
Hinweise, dass Beethovens Intention bei dieser Symphonie an ein politisches
Freiheitsstreben geknüpft war.
Doch der Worte sind nun genug gewechselt, nun
wollen wir das Finale hören:
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Was nun tatsächlich Beethovens wahre Intention gewesen ist, weiß nur Beethoven selbst. Harnoncourts Verdienst ist es, den von Legenden umwobenen Schleier des Werkes zu heben, um eine klarere Sicht darauf zu erhalten. Nur so kann eine unvoreingenommene Meinung entstehen. Alles Weitere obliegt dem Hörer, der sich stets aufs Neue ein eigenes Bild von dem Werk machen muss, um es für sich erschließen zu können.
Oder um ein letztes Mal Hoffmann zu zitieren:
„Die Musik schließt dem Menschen ein unbekanntes Reich
auf; eine Welt, die nichts gemein hat mit der äußern Sinnenwelt, die ihn umgibt,
und in der er alle durch Begriffe bestimmbaren Gefühle zurücklässt, um sich dem
Unaussprechlichen hinzugeben.“
Und genau darin liegt das Genie Beethovens: Er hat das
Unaussprechliche ohne Worte gesagt.
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