Sonntag, 12. Januar 2014

„Beethovens Frühwerk – Mozarts Geist aus Haydns Händen“


Heute widmen wir uns ganz und gar der Wiener Klassik und ihren drei Hauptvertretern: Joseph Haydn (1732-1809), Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) und Ludwig van Beethoven (1770-1827).



Als kleine Einstimmung für diese Epoche soll ein weltbekanntes Klavierwerk aus jener Epoche dienen, Mozarts 3. Satz aus seiner Klaviersonate in A-Dur, KV 331 … der „Türkische Marsch“:





Jeder kennt es, jeder liebt es … Mozarts Geist in Reinkultur!

Ich denke, jeder kennt auch die anderen zwei Komponisten jener Epoche … zumindest vom Hörensagen. Und einige vorgebildete Musikfreunde würden bei Beethoven zumindest das Hören in Zweifel ziehen. Allerdings möchte ich mich heute mit dem jungen Beethoven, als er noch absolutes Gehör hatte, beschäftigen und inwieweit sein Frühwerk von seinen Epochen-Kollegen beeinflusst wurde. Der Einfachheit halber begrenze ich mich hierbei vorerst auf Sonaten für Klavier.

Wie man den Lebenszeiten entnehmen kann, war Beethoven mit Abstand der Jüngste. Haydn könnte sein (wenn auch junger) Großvater sein und Mozart zumindest sein sehr frühreifer Vater. Oder, um es eleganter zu formulieren: Beethoven konnte auf die klassische „Vorarbeit“ beider zurückgreifen, bevor er selbst zu schaffen begann. Das ist sowohl Fluch wie Segen! Denn diese „Vorarbeit“ wurde von keinen Laien getan, sondern von wahren Meistern, welche bereits selbst die harmonische Vollendung in jener Epoche erreichten. Doch wir würden den Namen Beethoven heute nicht kennen, hätte dieser keinen eigenen Weg gefunden, Mozarts und Haydns Erbe fortzuführen, zu ergänzen … und am Ende sogar zu sprengen!

In Beethovens Frühwerk befinden sich viele Reminiszenzen an seine beiden Vorbilder und doch schuf er eine ganz neue Klangwelt, die sich von Mozart und Haydn abhob und nun untrennbar mit dem Namen Beethoven verbunden ist. Und eben diese Klangwelt soll hinsichtlich der frühen Klaviersonaten Beethovens in diesem Artikel vermittelt werden.


A) Die neue Klangwelt

Doch beginnen wir etwas grundsätzlicher ...

Was wenige wissen: Alle drei Meister kannten sich persönlich!

Beginnen wir zunächst bei Haydn und Mozart: Haydn war stets ein väterlicher Freund und liebevoller Konkurrent von Mozart. Mozart nannte ihn in Briefen oft ehrfürchtig „Papa“ und widmete ihm diverse Kompositionen. Haydn war tief beeindruckt von diesem jungen Genie und schrieb an Mozarts Vater:

„Ich sage ihnen vor Gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn ist der größte Componist, den ich von Person und den Nahmen nach kenne: er hat Geschmack, und über das die größte Compositionswissenschaft.“

Das sind sehr große Worte! Doch Mozart wird ihnen wohl gerecht. Das erkennt man allein an seiner schöpferischen Gabe für wunderschöne Melodien, wie der folgende Kopfsatz der späten Klaviersonate in C-Dur, KV 545 von Mozart beweist:




Das Stück ist ebenfalls bekannt, nicht wahr? Eine ganze Generation ist mit dieser Melodie musikalisch erzogen worden. Es ist die Titelmelodie von „Young People`s Concerts“, wo klassische Musik unendlich bereichernd und liebevoll von einem der größten Dirigenten unserer jüngeren Geschichte vermittelt wurde: Leonard Bernstein (1918-1990).

Der junge Beethoven begegnete Mozart wahrscheinlich im Frühjahr 1787 auf einer Studienreise in Wien. Beethoven wollte Kompositionsunterricht bei Mozart nehmen, was allerdings nicht gelingen sollte, da Beethovens Mutter in Bonn schwer erkrankte und er zur Rückreise gezwungen war und da Mozart ohnehin zu dieser Zeit zu sehr mit der Fertigstellung seiner Oper „Don Giovanni“ zu kämpfen hatte. Unabhängig dessen war Beethoven ein großer Bewunderer Mozarts und tief beeindruckt von dessen Klangwelt, welche er als vollkommen erachtete. Um neben einem Mozart bestehen zu können, musste man neue Wege gehen.

Und das tat Beethoven ...

Wenn man nun den eben gehörten Kopfsatz des späten Mozarts mit einem Kopfsatz des frühen Beethovens vergleicht, so offenbaren sich sehr schnell die Tendenzen, die Beethoven erstrebte: Erweiterung der Form, Steigerung des Ausdrucks und Überwindung des Etablierten. Betrachten wir hierfür den Kopfsatz der ebenfalls in C-Dur stehenden Sonate Beethovens, op.2/3, welche nur wenige Jahre nach Mozarts Sonate entstanden ist. Nach einem lieblichen einleitenden Thema rückt das Thema in Minute 0:23 der Hörprobe explosionsartig in neue, nie zuvor gekannte Sphären, die schon fast symphonische Dimensionen haben. Hinzu kommt ein geistreiches Seitenthema in Moll (0:47), das eine weitere kontrastierende Klangwelt erschließt. In dieser Ambivalenz formt sich ein neuer Kosmos, der Geschichte schreiben wird:




Man erkennt bereits in diesem frühen Werk Beethovens, dass hier ein Genie geboren ist, das unendlich viel zu sagen hat und welches die Wiener Klassik auf eine neue Ebene führen wird.

Doch auch Haydn braucht sich keineswegs zu verstecken! Auch seine Musik sprüht vor Witz und Einfallsreichtum. Ein besonders bemerkenswertes Beispiel ist seine späte Klaviersonate in E-Dur, welche in einem ähnlichen Zeitraum wie die vorangegangenen Beispiele und kurz vor Mozarts Tod komponiert wurde. Ein wunderbar melodiöses Thema gestaltet den Rahmen. Doch Haydn wäre nicht Haydn, wenn dieser nicht eine kleine Überraschung vorbereitet hätte. Diese Überraschung ist in diesem Fall ein Abgrund von tiefgründiger Musik, die ausdrucksstärker nicht sein könnte. In Minute 3:38 beginnt ein Zwischenspiel, das zu Haydns dunkelsten und beeindruckendsten gehört:




(Jetzt wissen wir auch, welches Musikstück Tom Cruise im Film „Interview mit einem Vampir“ vor Brad Pitt am Klavier spielt.)

Beethoven und Haydn lernten sich Ende 1790 in Bonn kennen. Haydn erkannte sehr schnell Beethovens Talent, vermittelte diesen nach Mozarts Tod erneut nach Wien und vollbrachte das, was Mozart Jahre zuvor nicht gelungen war: Er wurde Beethovens Lehrer.

Ein geistreicher und weitsichtiger Mäzen namens Ferdinand Ernst von Waldstein (1763-1823) erfand hierfür die wunderbare Formel, dass Beethovens nun „Mozarts Geist aus Haydns Händen“ erhalte.

Um die Wechselbeziehung zwischen Beethoven und Haydn zu illustrieren, sei erneut Beethovens Sonate op.2/3, von der wir eben den ersten Satz gehört haben, herangezogen. Beethoven widmete diese seinem Lehrer Haydn und das wohl mit gutem Grund. Zum einen steht der zweite Satz in der selben Tonart wie jener von Haydn (E-Dur) und zum anderen spielt hier Beethoven förmlich mit dem Kontrast zwischen hell und dunkel, den Haydn in seinem Werk so großartig erschaffen hat.

Beethoven beginnt sein Werk in E-Dur. Musikfreunde mit feinem Gehör erkennen sofort, dass es an das Thema des einleitenden ersten Satzes angelehnt ist (nur etwas langsamer). Doch in Minute 1:04 der Hörprobe driftet Beethoven nach Moll in ungeahnte Tiefen und Seelenabgründe ab, die in Minute 2:19 gespenstische Dimensionen finden, die selbst Haydns Werk in den Schatten stellen. Derart intensive und intime Musik hat es zuvor nicht gegeben. Sie ist die Schöpfung von Beethovens Geist und ein unsterbliches Beispiel seiner poetischen Klangeskraft:




B) Reminiszenzen an Mozart und Haydn

Beethovens Durchbruch zu seinem eigenen, vollendeten Ausdrucksstil gelang mit seiner frühen Klaviersonate in c-Moll, op.13 im Jahre 1798, die als „Pathetique“ in die Geschichte einging. Nachdem Haydn sie gehört hatte, soll er angeblich zu Beethoven gesagt haben, dass dieser von nun an nicht mehr sein Schüler sei, da er ihm nichts mehr beibringen könne, da Beethoven dessen Formschema perfekt verinnerlicht und im Ausdruck eigene Vollendung erreicht hatte. Ob diese Anekdote stimmt oder nicht ist unerheblich. Wichtig ist, dass Beethoven hier ein großes, epochemachendes Meisterwerk gelungen ist, das an subjektiven Weltschmerz nicht zu übertreffen ist und schon an der Pforte zur nächsten Epoche, der Romantik, kratzt.

Als Beispiel soll uns der zweite Satz dieser Sonate dienen, der wohl zu den bekanntesten Klavierwerken Beethovens gehört:




Dass es sich bei diesem Satz um eine insgeheime Reminiszenz an Mozart handelt, wissen wenige. Mozart schrieb einige Jahre zuvor ebenfalls eine Klaviersonate in c-Moll, KV457. Man höre nun den zweiten Satz dieser Sonate und vergleiche diesen mit jenem Beethovens. Zwei Meister, eine Idee und doch zwei Klangwelten. Es entscheide jeder für sich, welche Welt ihn mehr berührt:




Verblüffend, nicht wahr?

Als kleine Schlusspointe möchte ich mit einem Vergleich abseits der Klaviersonaten schließen, der verwegen anmutet, aber irgendwie auf der Hand liegt.

Mozart schrieb als zwölfjähriges Wunderkind eine wunderschöne Oper namens „Bastien und Bastienne“, KV50. Diese Oper besitzt eine liebreizende Ouvertüre, die in jedes Herz Einzug halten kann:




Wurde dieses Werk gekannt? Nein?!?

Nun, ich vermute, Beethoven kannte sie, denn er machte aus dem Hauptthema ein unsterbliches Meisterwerk, den ersten Satz seiner 3. Symphonie, der „Eroica“, die seinen Durchbruch als Symphoniker bedeutete:




Die „Eroica“, op.55 wird von vielen Musikexperten als Meilenstein in Beethovens Schaffen und in der Symphonik im Allgemeinen angesehen. Spätestens hier endet das Frühwerk, hier beginnt Beethovens eigentlicher Siegeszug durch die Musikgeschichte ...

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