Luis Buñuel (1900-1983) war ohne Zweifel einer der bedeutendsten und innovativsten Regisseure der Filmgeschichte. In dem gebürtigen Spanier und bekennenden Atheisten fand die Bewegung des Surrealismus nicht nur einen ihrer Wegbereiter, sondern auch ihren ausdrucksstärksten Vollender im bewegten Bild: Allegorisch verschlüsselt und doch stets treffsicher werden starre gesellschaftliche Rituale und religiöse Irrlehren mit lustvoller Absurdität bloßgestellt und so dem – nicht selten schockierten – Publikum die eigene Borniertheit sowie das eigene Begrenztsein schonungslos, aber immer mit feinem Sinn für Humor vor Augen geführt. Nicht selten vermag Buñuels Bilderreigen eine neue, unorthodoxe Sicht auf die Welt zu vermitteln, der jede Konvention und Anbiederung fremd ist. Frühe surrealistische Traumvisionen wie „Ein andalusischer Hund“ (1929) oder „Das goldene Zeitalter“ (1930) zeugen genauso davon wie die Meisterwerke „Viridiana“ (1961), „Der Würgeengel“ (1962) und der späte, abgründig groteske Triptychon bestehend aus „Die Milchstraße“ (1969), „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ (1972) sowie „Das Gespenst der Freiheit“ (1974).
Wenige Monate vor seinem Tod verfasste Buñuel – gemeinsam mit Jean-Claude Carrière (1931-2021), mit dem er sechs Drehbücher seiner späten Filme entworfen hatte – seine Lebenserinnerungen in Form eines Buches mit dem bezeichnenden Titel "Mein letzter Seufzer". Darin gelang ein Paradoxon: Ein nüchterner, lakonischer Stil, von dem Hemingway nur träumen konnte, paart sich mit Beschreibungen von scheinbar minutiöser Exaktheit und doch unverhohlen rein fragmentarischem Charakter. Wir werden hierbei Zeugen von Buñuels Gedankengängen, in denen aufgrund ihrer innewohnenden Subjektivität Vorstellung, Erinnerung und Wahrhaftigkeit untrennbar miteinander verschmelzen und die innere Widersprüche gar nicht erst auflösen wollen. Buñuel beschreibt das Leben unsentimental und illusionslos als episodenhaften Traum ohne Gewissheit auf Erlösung in Form eines klärenden Erwachens. Weit entfernt religiösen Lehren auch nur den Funken an Glauben zu schenken, stellen Buñuels Erinnerungen ein Bekenntniswerk ohne Bekenntnis dar; ein aus Reflexionen errichtetes Monument, das an nichts glaubt außer an unsere Nichtigkeit. Mit dieser Gewissheit ging Buñuel von der Welt und hinterließ sein letztes surreales Meisterwerk:
„Der Zufall ist der große Meister aller Dinge. Danach erst kommt die Notwendigkeit … Wenn auch unsere Geburt ganz zufällig ist, so tritt die Rolle des Zufalls doch zurück, wenn die menschlichen Gesellschaften sich bilden, der Fötus und dann das Kind sich den Gesetzen unterworfen sehen. Das trifft auf alle Arten zu. Die Gesetze, die Bräuche, die historischen und gesellschaftlichen Bedingungen einer gewissen Entwicklung, eines gewissen Fortschritts, alles, was vermeintlich zur Durchsetzung, zum Vorwärtsschreiten, zur Stabilität einer Kultur beiträgt, der wir durch das Glück oder das Missgeschick unserer Geburt angehören, alles das bildet einen täglichen und hartnäckigen Kampf gegen den Zufall. Nie ganz vernichtet, zählebig und listenreich, versucht er sich der gesellschaftlichen Notwenigkeit anzupassen.“
- Zitate aus "Mein letzter Seufzer" (1982)
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