Sonntag, 18. Juli 2021

"Jean-Paul Sartre - Existentialismus und Freiheit"

 

Der Existentialismus Jean-Paul Sartres (1905-1980) eliminiert nicht nur Gott, er lehnt auch jeden Glauben an ein ewig-gültiges Wertesystem sowie die allgemeine Bestimmbarkeit der menschlichen Natur und deren Schicksal ab. Gleichzeitig räumt er dem Menschen aber das ein, wonach dieser sich sehnt und wovor er sich dennoch fürchtet: Freiheit und Verantwortung. Dies macht Sartres Philosophie so provokant, so fordernd und so unangenehm aktuell, da demnach jeder für sich ein selbstbestimmter Entwurf ist, der die Menschheit und deren Zukunft überhaupt erst macht. 

 


 

„Gemeinsam ist den Existentialisten die Tatsache, dass ihrer Ansicht nach die Existenz dem Wesen vorausgeht oder, wenn Sie so wollen, dass man von der Subjektivität ausgehen muss … Das bedeutet, dass der Mensch erst existiert, auf sich trifft, in die Welt eintritt, und sich erst dann definiert. Der Mensch ist zuvor nicht definierbar, weil er zunächst nichts ist. Er wird erst dann, und wird so sein, weil wie er sich geschaffen haben wird. Folglich gibt es keine menschliche Natur, da es keinen Gott gibt, sie zu ersinnen ... Der Mensch ist nichts anderes als das, wozu er sich macht ... Das heißt, dass der Mensch erst das ist, was sich in eine Zukunft wirft und was sich bewusst ist, sich in die Zukunft zu entwerfen.“

 


 
„Wenn jedoch die Existenz wirklich dem Wesen vorausgeht, ist der Mensch für das, was er ist, verantwortlich. So besteht die erste Absicht des Existentialismus darin, jeden Menschen in den Besitz seiner selbst zu bringen und ihm die totale Verantwortung für seine Existenz aufzubürden … Wenn wir sagen, der Mensch wählt sich, verstehen wir darunter, jeder von uns wählt sich, doch damit wollen wir auch sagen, sich wählend wählt er alle Menschen. In der Tat gibt es für uns keine Handlung, die, den Menschen schaffend, der wir sein wollen, nicht auch zugleich ein Bild des Menschen hervorbringt, wie er unserer Ansicht nach sein soll. Wählen heißt gleichzeitig, den Wert dessen, was wir wählen, zu bejahen … So bin ich für mich selbst und für alle verantwortlich, und ich schaffe ein bestimmtes Bild vom Menschen, den ich wähle; mich wählend wähle ich den Menschen.“
 


 
„Es ist sehr unangenehm, dass Gott nicht existiert, denn mit ihm verschwindet jede Möglichkeit, Werte in einem intelligiblen Himmel zu finden; es kann kein a priori Gutes mehr geben, da es kein unendliches und vollkommenes Bewusstsein gibt, es zu denken … In der Tat ist alles erlaubt, wenn Gott nicht existiert, und folglich ist der Mensch verlassen, denn er findet weder in sich noch außer sich Halt. Zunächst einmal findet er keine Entschuldigungen. Wenn tatsächlich die Existenz dem Wesen vorausgeht, ist nichts durch Verweis auf eine gegebene und unwandelbare menschliche Natur erklärbar; anders gesagt, es gibt keinen Determinismus, der Mensch ist frei, der Mensch ist die Freiheit. Wenn Gott nicht existiert, haben wir keine Werte oder Anweisungen vor uns, die unser Verhalten rechtfertigen könnten. So finden wir weder hinter noch vor uns im Lichtreich der Werte Rechtfertigungen oder Entschuldigungen. Wir sind allein, ohne Entschuldigungen. Das möchte ich mit den Worten ausdrücken: der Mensch ist dazu verurteilt, frei zu sein.“ 
 


„Der Mensch ist ständig außerhalb seiner selbst; indem er sich entwirft und verliert außerhalb seiner selbst, bringt er den Menschen zur Existenz, und andererseits kann er existieren, indem er transzendente Ziele verfolgt; indem der Mensch diese Überschreitung ist und er die Objekte nur im Verhältnis zu dieser Überschreitung erfasst, befindet er sich im Herzen, im Mittelpunkt dieser Überschreitung … Diese Verbindung von den Menschen ausmachender Transzendenz und Subjektivität, in dem Sinn, dass der Mensch nicht in sich selbst eingeschlossen, sondern immer in einem menschlichen Universum gegenwärtig ist, das ist es, was wir existentialistischen Humanismus nennen. Humanismus, weil wir den Menschen daran erinnern, dass es keinen anderen Gesetzgeber als ihn selbst gibt und dass er in Verlassenheit über sich selbst entscheidet; und weil wir zeigen, dass der Mensch sich menschlich verwirklicht nicht durch Rückwendung auf sich selbst, sondern durch die ständige Suche eines Ziels außerhalb seiner ...“
 


 
- Zitate aus "Der Existentialismus ist ein Humanismus" (1945)

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