Das Streichquartett wurde in der
Wiener Klassik begründet. Durch bahnbrechende Beiträge von Komponisten wie Joseph
Haydn (1732-1809) galt es bald als Königin der Kammermusik und wurde maßgebend
für folgende Generationen. Das Ensemble von zwei Violinen, einer Viola und
einem Cello schien für ein schlankes und zugleich ausgewogenes Klangbild ideal
zu sein und gewann Modellcharakter. Doch nicht vom Streichquartett handelt der
heutige Artikel, sondern von einer Gattung, die aufgrund der Reduktion um eine
Violine an Ausdruck und Balance zu verarmen oder gar zu scheitern droht, dem
Streichtrio.
Kann ein Trio bestehen, wo sich die
Form des Quartetts etabliert hat?
Einigen Meistern sind Streichtrios
gelungen, welche eben nicht als reduzierte Quartette erscheinen, sondern als vollendete
Schöpfungen, die anderen Gattungen auf Augenhöhe begegnen können. Auch wenn die
Komposition von Streichtrios selten versucht wurde, entstanden von der Wiener
Klassik an bis in die Wiener Moderne wertvolle
Beiträge. Diese fristen bis heute ein Schattendasein neben den Quartetten und bilden
meist unbeachtete Gipfelpunkte der Kammermusik. Diese sollen nun durch vier Artikel vorgestellt und dem einen oder anderen näher gebracht werden.
Artikel 1 - Mozart
Das erste bedeutende Streichtrio
komponierte kein Geringerer als Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) unter der
Bezeichnung „Divertimento“ (KV 563). Hinter diesem Titel, der heitere
„Unterhaltungsmusik“ nahe legt, verbirgt sich eines seiner feinsten und reifsten
Werke. Mozart betrat damit völliges Neuland und
sprengte die bisherige Gattungskonvention des Quartetts. Das Resultat war ein
singuläres Meisterwerk an Balance und Vollendung, das alle Errungenschaften seines Spätstils aufweist und entfaltet. Es sollte seine einzige abgeschlossene Komposition in dieser Besetzung
bleiben.
Mozart widmete sich seinem Streichtrio
im Frühherbst 1788 nach Abschluss seiner letzten drei Symphonien. Der Anlass für diese neuartige - sechssätzige - Komposition ist heute ebenso
unklar wie jener der Symphonien. Vermutlich handelte es sich hierbei um ein
kühnes Experiment, neue Pfade abseits von Haydns und seines eigenen
Quartett-Schaffens zu betreten, um damit Aufmerksamkeit zu erregen. Dies
würde erklären, weshalb er das Trio im Jahre 1789 auf seine Reise nach Dresden,
Leipzig und Berlin als Visitenkarte mitnahm und dieses dort (ebenso wie kurz darauf in
Wien) zur Aufführung brachte.
Die späte Reife und völlige
Ausgewogenheit dieses Streichtrios ist bereits in jedem Takt des Kopfsatzes, ein "Allegro", zu spüren.
Drei Themen entfalten sich mit wunderbarer Selbstverständlichkeit und
kristallener Klarheit. Zu der herrlichen harmonischen Melodieführung stellen
sich auch immer wieder polyphone Verdichtungen und kontrapunktische
Verarbeitungen ein, die auf Mozarts Studien der Werke Johann Sebastian Bachs
(1685-1750) sowie Georg Friedrich Händels (1685-1759) zurückzuführen sind. Es
ist ein Satz von erhabener Souveränität, der in seinem ausgewogenen Klangbild
keine Sekunde eine zusätzliche Stimme in Form einer weiteren Violine missen lässt. Es handelt sich um eine der
reifsten Früchte, die sich in Mozarts Spätwerk finden lässt.
Nicht weniger gewichtig ist das folgende "Adagio" (8:37), ein tiefgründiger Satz mit meditativem Charakter. Das
Cello entspinnt einen verinnerlichten Gesang, der von zarter Melancholie
durchdrungen ist und von Violine wie Viola dankbar aufgegriffen und weitergeführt wird. Dieses Adagio gehört zu den schönsten und eindrucksvollsten Sätzen in Mozarts Schaffen. Die drei Instrumente verschmelzen förmlich zu breiten
Klangflächen, die an Intensität und Ausdruck weit in die Epoche der Romantik
vorausweisen und eine vollendete, abgerundete Einheit
bilden.
Die folgenden Sätze bestehen aus zwei
volkstümlichen, deftigen "Menuetten" voller Spielfreude, welche einen heiteren Variationssatz
"Andante" umschließen. Hier kommt Mozart einem „Divertimento“ am nächsten. Der
Variationssatz (24:24) lotet auf vielseitige Weise seine eigene Themensubstanz
aus. Ergreifender Höhepunkt ist wohl
die 3. Variation in dunklem Moll (29:30). Wie aus dem Nichts entsteht ein gespenstiger Abgrund, der das heitere Stimmungsbild des
Themenmaterials plötzlich in nachdenkliches Sinnieren kehrt. Kurz darauf hebt die
letzte Variation erneut unbeirrt heiter an, als hätte es eine Moll-Trübung nie gegeben.
Als letzten Satz gestaltet Mozart ein
Rondofinale mit kontrapunktischen Zügen (37:47), das wie eine Versöhnung zwischen den
reifen, erhabenen Sätzen und den volkstümlichen, spielfreudigen Menuetten
wirkt. Dieser Satz enthält vieles, das es zu entdecken gilt: von heiterem
Musizieren und markanten, fandangoartigen Rhythmen über lyrisches Abgleiten
in ergreifende Moll-Passagen sowie polyphon anmutende Einschübe ist alles dabei.
Mozarts Geist erschafft mit nur drei Streichern einen Kosmos, der sich mit Leichtigkeit in die höchsten
Höhen des musikalischen Ausdrucks spielt und dabei stets ein unergründliches
Rätsel bleibt.
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