Claudio Monteverdi (1567-1643) war nicht der Erfinder der Oper. Er war jedoch jener Komponist, welcher die damals noch junge Gattung mit „L’Orfeo“ zu ihrem ersten Höhepunkt führte. Doch mit dieser 1607 vollendeten Oper gelang ihm nicht nur ein Meilenstein des Genres, sondern ein Werk, das Teil einer der größten Revolutionen der Musikgeschichte wurde.
Bis ins späte 16. Jahrhundert war die Musikpraxis von einem mehrstimmigen, durchimitierenden kontrapunktischen Stil geprägt, welcher nach einer 200-jährigen Entwicklung mit Giovanni Pierluigi da Palestrina (1525-1594) seine Vollendung fand. Derlei Kompositionen bestachen durch ausgeklügelte Relationen unterschiedlicher Stimmen zueinander, wodurch ein komplex verwobenes, polyphones Kunstwerk entstand. Doch die Vollendung dieser Kompositionsweise verpflichtete andere Künstler zur Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten. Und so folgte zur Jahrhundertwende in manchen Künstlerkreisen eine Abkehr von dieser Art Musik, da man unter Berufung auf das antike Drama die Deutlichkeit der Sprache neuen Raum beimessen wollte. Führend in dieser Entwicklung war eine Künstlervereinigung in Florenz, die „Camerata fiorentina“, welche die Zukunft der Musik im Einzelgesang (Monodie) sah, wo das Melos von der Sprachmelodie bestimmt wird und der begleitende Bass (Basso Continuo) dies zu unterstreichen hat. Zwei Komponisten dieses Kreises, Jacopo Peri (1561-1633) und Giulio Caccini (1551-1618), schufen erste richtungsweisende Werke, welche als Ursprung der Gattung „Oper“ verstanden werden können. Als Sujet wählten beide die griechische Sage von Orpheus und Eurydike (Orfeo e Euridice). Wie könnte man schließlich das Thema eines gesungenen Dramas besser wählen, als es dem größten Sänger der Antike zu widmen?
Doch erst durch ein Genie wie Claudio Monteverdi (1567-1643), der in seinem „L’Orfeo“ auf eben diesen Sagenkreis zurückgriff, wurde das Spannungsfeld zwischen Musik und Sprache effektvoll aufeinander abgestimmt, Tiefe verliehen und zu einer nie zuvor dagewesenen Einheit verschmolzen. Das Drama wurde durch seine Musik von neuem Leben erfüllt und im Ausdruck intensiviert. Um die Handlung zu illustrieren und voranzutreiben griff Monteverdi auf innovative Stilmittel wie die Arie, das Rezitativ, die dramatisch motivierte Instrumentation sowie wiederkehrende Strukturelemente, die mehr als 250 Jahre später unter dem Begriff „Leitmotiv“ Bekanntheit erlangen sollten, zurück. (Demnach könnte Monteverdis „dramma per musica“ als ein früher Vorreiter der großen „Musikdramen“ der Romantik verstanden werden.)
Wenn man „Leitmotive“ sucht, so wird man bereits im Prolog von Monteverdis „L’Orfeo“ fündig. Eingeleitet wird die Oper durch eine wuchtige, von Trompeten niederschmetternd intonierte Toccata (von Minute 0:00-1:50). Bereits diese ist streng genommen ein „Leitmotiv“, allerdings keines das zu der Oper selbst gehört. Es ist ein werkübergreifendes Motiv, für dessen Verständnis geschichtliches Hintergrundwissen von Nutzen ist: „L’Orfeo“ wurde 1607 in Mantua unter der Schirmherrschaft der dortigen Herzogsfamilie der Gonzaga uraufgeführt und auch dem Herzogssohn Francesco (1586-1612) gewidmet. Nun hatten Adelsgeschlechter, die etwas auf sich hielten, zur damaligen Zeit nicht nur Familienwappen, sondern auch eine musikalische Signatur in Form einer Fanfare, einer Kennmelodie. Diese wurde in Monteverdis Toccata besonders eindrucksvoll zitiert und als Reminiszenz an seine Auftraggeber in Szene gesetzt. So erklärt es sich, weshalb die drei Jahre später ebenfalls in Mantua entstandene „Marienvesper“, Monteverdis sakrales Meisterwerk, mit derselben Toccata eingeleitet wird (auch wenn sie Papst Paul V. gewidmet war). Kurzum, die Toccata ist ein „Leitmotiv“, das auf die adeligen Mäzene Bezug nimmt, mit dem eigentlichen Werk allerdings nichts zu tun hat.
Mit dem „Ritornell“ (ab Minute 1:50), welches auf die Toccata folgt, verhält es sich jedoch anders. Hierbei handelt es sich nicht nur um ein wunderbares Instrumentalstück, sondern um das wichtigste „Leitmotiv“ der Oper. Dieses frühbarocke, erhabene Ritornell symbolisiert das Leben und die pastorale Sphäre der Oberwelt. Es ist als klingendes Bühnenbild in den Akten, die nicht in der Unterwelt spielen, immer präsent und wird vom diesseitigen Instrumentarium des Lebens, welches hell und leicht aus Blockflöten, Lauten, Streichern und dem Cembalo besteht, intoniert.
Auch die Musik selbst („La Musica“) ist Attribut des Lebens und der Oberwelt. Und so können wir uns im folgenden Prolog bereits vom Einsatz der Leitmotivtechnik überzeugen, da hier die Musik als Person auftritt und sich mit ergreifenden Worten über mehrere Strophen hin direkt an das Publikum wendet. Nach jeder Strophe erscheint als Zwischenspiel das „Leitmotiv“ des Ritornells in Ausdruck und Orchestrierung verwandelt, um das Gesagte der letzten Strophe in seiner jeweiligen Stimmung zu untermalen und Nachdruck zu verleihen.
In der ersten Strophe wendet sich „La Musica“ direkt an die Herzogsfamilie und erweist ihr (nach der einleitenden Toccata) erneut die Ehre in Form einer Huldigung. Allerdings ist hier ein kleiner, ironischer Seitenhieb eingebaut, da die Lobpreisung derart übertrieben ausfällt, sodass sich der eine oder andere im Publikum gefragt haben muss, ob der Herzog denn tatsächlich diesen Lorbeeren gerecht wird oder ob gemessen an seinen Taten sich nicht eine bescheidenere Bilanz offenbaren mag. (Monteverdi hatte allen Grund für diese kleine Finte, da der Herzog von Mantua ihm des Öfteren das Gehalt schuldig geblieben war…) In der zweiten und dritten Strophe stellt sich „La Musica“ selbst vor und findet berührende Worte über die Kraft der Musik. In der vierten Strophe nimmt sie auf Orpheus selbst Bezug, worauf sie in der letzten Strophe vom Publikum offen und streng die gebührende Aufmerksamkeit während der gesamten Oper einfordert. Wir wollen dem nichts hinzufügen und überlassen „La Musica“ natürlich das letzte Wort, bevor wir uns im nächsten Artikel mit der eigentlichen Handlung der Oper beschäftigen und uns mutig der Unterwelt, welche nicht mehr zur Einflusssphäre der Musik und des Lebens gehört, zuwenden.
Nun lassen wir aber „La Musica“ sprechen, welche folgende Worte an uns richtet:
Dal mio Permesso amato à voi ne vegno,
Incliti Eroi, sangue gentil de’ Regi,
Di cui narra la Fama eccelsi pregi,
Nè giunge al ver, perch’è tropp’ alto il segno.
Io la Musica son, ch’a i dolci accenti,
Sò far tranquillo ogni turbato core,
Ed hor di nobil ira, ed hor d’amore
Posso infiammar le più gelate menti.
Io sù Cetera d’or cantando soglio
Mortal orecchio lusingar talhora,
E in questa guisa a l’armonia sonora
Mortal orecchio lusingar talhora,
E in questa guisa a l’armonia sonora
Quinci à dirvi d’ORFEO desio mi sprona,
D’ORFEO che trasse al suo cantar le fere,
Gloria immortal di Pindo e d’Elicona.
Hor mentre i canti alterno hor lieti, hor mesti,
Non si mova augellin fra queste piante,
Nè s’oda in queste rive onda sonante,
Ed ogni auretta in suo cammin s’arresti.
Von meinem geliebten Permessos komm ich zu euch,
ihr glorreichen Helden vom Blut der Könige.
Euer Ruhm zeugt von großen Taten,
doch wird er ihnen nicht gerecht, da es zu viele sind.
Ich bin die Musik, die mit süßen Tönen
jedes ruhelose Herz zu stillen vermag.
Bald mit edlem Zorn, bald mit Liebe
Auch die kühlsten Sinne zu entflammen weiß.
Singend zum Klang der goldenen Harfe
entzücke ich das Ohr des Sterblichen
und erwecke in der Seele Sehnsucht nach den
klangvollen Harmonien der Himmelsleier.
Nun will ich euch von Orpheus berichten,
der mit seinem Gesang die Tiere zähmte,
dessen Flehen selbst die Unterwelt erhörte,
Pindos und Helikon zum ewigen Ruhm.
Dieweil ich nun von Heiterem und Ernsterem singe,
soll sich kein Vogel in den Zweigen regen,
soll keine Welle an die Ufer schlagen
und jedes Lüftchen stehe still.
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