Sonntag, 16. Juli 2017

"Antonín Dvořák - Der Wassermann"


Das Schaffen des großen böhmischen Komponisten Antonín Dvořák erlebte im Jahre 1896 einen Umbruch. War davor sein Werk durch Schöpfungen absoluter Musik geprägt, wie seine neun Symphonien, sein Cellokonzert oder seine Kammermusik bezeugen, so wandte er sich fortan einer weniger traditionellen Gattung, der Symphonischen Dichtung, zu und sollte nie mehr zur absoluten Musik zurückkehren. Symphonische Dichtungen verleihen Musik ein inneres Programm, welches klangliche Entfaltung erlebt, und Dvořák gelangen hierbei unübertroffene Meisterwerke.



Antonín Dvořák (1841-1904) entnahm die Handlung vier seiner Symphonischen Dichtungen (op.107-op.110) aus Balladen des tschechischen Dichters Karel Jaromir Erben (1811-1870), welche voll märchenhafter, farbkräftiger Stimmungen sind. Eine der berühmtesten Balladen geht auf einen unheimlichen Volksmythos zurück und nennt sich „Der Wassermann“.

Die Handlung dieser Ballade ist schnell erzählt: Ein Mädchen wohnt mit seiner Mutter in der Nähe eines Sees. Die Mutter warnt das Mädchen vor dem See, da darin ein böser Wassermann wohnt. Das Mädchen schlägt die Warnungen allerdings in den Wind und wird, als sie sich beim See aufhält, vom Wassermann geschnappt und in sein Reich gezogen. Dort erhält sie (vermutlich unfreiwillig) ein Kind von ihm. Da das Heimweh zu stark wird, erlaubt der Wassermann dem Mädchen seine Mutter zu besuchen, solange es innerhalb einer bestimmten Frist (bis zum Läuten der Kirchenglocken) wieder bei ihm ist. Als Pfand behält der Wassermann das gemeinsame Kind. Da das Mädchen nicht wieder erscheint, erschlägt der rasende Wassermann das Kind und wirft dieses gegen die Haustüre der Mutter.  

Das ist eine grausame und schreckliche Geschichte. Doch Dvořák war von der Figur des Wassermanns derart fasziniert, dass er diese in ein dramatisches Tongemälde fassen wollte, um ihr ein abgründiges Denkmal zu setzen. Das Ergebnis sollte ein makaberes Meisterwerk werden - voller Kraft und Dämonie -, eine Symphonische Dichtung, die den Schrecken Klang werden lässt:

Dvořák beginnt die Symphonische Dichtung mit dem Thema des Wassermanns (0:00-1:50), welches rondoartig das gesamte Stück durchzieht. Es handelt sich um ein bohrend, kreisendes Thema, das mit seinen kraftfollen Wogen ganz dem Element Wasser verschrieben ist. Darauf erklingt das lyrische Thema des Mädchens (1:50-2:36). Es hat sanften, unschuldigen Charakter und wirkt wie die Beschreibung eines ländlichen Idylls. Es erscheint als starker Kontrast zum Wassermann. Bei genauerem Hinhören kann man jedoch bereits jetzt erkennen, dass das Mädchen verloren ist: Dieses Thema ist jenem des Wassermanns abgeleitet. Der einzige Unterschied ist der dynamische Vortrag sowie die Gebundenheit der Noten. Was beim Wassermann abgehacktes Staccato war, ist beim Mädchen herrliches Legato. Ansonsten handelt es sich um den gleichen thematischen Einfall. Das Schicksal meint es anscheinend nicht gut mit dem Mädchen ...

Es folgt ein weiteres lyrisches Thema in dunklem Moll, jenes der besorgten Mutter (2:36-4:46). Es handelt sich hier um einen wunderbar enthobenen, fast schwebenden Klagegesang, der das Mädchen warnen soll und der sich herrlich steigert. Es schwingt hier die Sorge der liebenden Mutter um das unschuldige Mädchen mit. Doch auch in diesem Thema ist der Wassermann stets präsent.

Nach der Vorstellung der drei verwandten Themen kommt die eigentliche Handlung ins Rollen: Das Mädchen geht trotz Warnungen zum See, begibt sich also in den Machtbereich des Wassermanns, dessen ursprüngliches Thema plötzlich wieder an Dominanz und Kraft gewinnt. Die fallenden Läufe des Orchesters stellen das Herabgleiten des Mädchens zum See dar, bis der Wassermann zugreift und es triumphierend in seine Gewalt bringt (5:20-5:52). So hört es sich an, wenn ein Wassermann der holden Weiblichkeit habhaft wird. Er zieht das Mädchen unters Wasser, sodass bald von dem ganzen Geschehen nichts mehr zu sehen ist. Nur noch die unerhörte Sorge der Mutter verhallt noch an der Wasseroberfläche, welche ihren Schleier des Schweigens über das Folgende wirft.

Nun beginnt sich eine neue Welt zu entfalten: Das Mädchen wird in das Unterwasserreich des Wassermanns eingeführt (ab 6:25). Die Musik nimmt einem mystischen, geheimnisvollen Charakter an, obgleich die Rhythmik des Hauptthemas stets präsent bleibt. Unheimlich und anderes als alles bisher Gesehene erscheint diese Welt dem Mädchen. Dieses Reich ist nun sein neues zu Hause und es ist dazu bestimmt, fortan die Geliebte des Wassermanns zu sein. Das Mädchen will dies zwar nicht, doch die Kraft des Wassermanns macht es dennoch möglich (10:44-11:27). Dieser (wohl erzwungenen) Beischlaf verlief aus Sicht des Wassermanns erfolgreich: Das Mädchen gebiert ihm ein Kind. Man kann dies am folgenden Wiegelied erkennen (ab 11:27). Das Wiegelied mündet in einen musikalischen Ausbruch, der einen Streit zwischen dem Mädchen, welches Heimweh hat und sich Unterwasser nicht wohl fühlt, und dem Wassermann darstellt. Der Wassermann macht schließlich ein Zugeständnis: Das Mädchen darf für kurze Frist seine Mutter besuchen, muss aber beim Läuten der Kirchenglocken wieder zurück sein. Das Kind bleibt solange beim Wassermann.

So macht sich das Mädchen mit seinem Thema, welches nun voller Trauer in Moll verwandelt ist, auf den Heimweg (ab 13.38). Dvořák erlaubt sich trotz der dramatischen Handlung und der Hoffnungslosigkeit des Mädchens an dieser Stelle einen kleinen Scherz: Er streut während das Heimweg-Thema erklingt ein weiteres Motiv kurz ein. Es ist jenes aus dem Finale seiner 9. Symphonie "Aus der neuen Welt". Das ist fast etwas zynisch von Dvořák, da ja das Mädchen am Boden zerstört und voll von Leid "aus der neuen Welt", dem Unterwasserreich des Sees, flieht und damit nichts mehr zu tun haben will.

Daraufhin braut sich ein Sturm zusammen (ab 15:20). Der Wassermann wird ungeduldig, da das Mädchen nicht heimkehrt. Als auch die Kirchenglocken verklingen, ohne dass das Mädchen erscheint (ab 16:15), steigert sich seine Ungeduld zu blinder Raserei. Sein Thema schaukelt sich immer mehr auf und erlebt dramatische Ausbrüche. Diese erfahren ihren Höhepunkt im Todschlag des eigenen Kindes und dem Wurf gegen die Haustüre der Mutter und des Mädchens (17:35-18:00). Darauf ebbt die Musik wieder ab. Im Abgesang werden noch verschiedene Themen miteinander verwoben: Jenes, welches früher der Warnung des Mädchens galt, wird nun als Trauermotiv über das verstorbene Kind abgewandelt, während im Hintergrund stets die drohende Gebärde des Wassermanns präsent bleibt, worauf dieser ebenso still wie mysteriös wieder unter der Wasseroberfläche des Sees in sein Reich verschwindet.






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