“O muse, o
alto ingegno, or m’aiutate;
o mente che scrivesti ciò ch’io vidi,
qui si parrà la tua nobilitate.”
o mente che scrivesti ciò ch’io vidi,
qui si parrà la tua nobilitate.”
(Dante, Inferno, Canto
II)
“O Musen, hohe Kunst,
nun wollt mir helfen!
Gedächtnis, das
geschrieben, was es schaute,
Hier soll sich deine
Vornehmheit erweisen.“
(Übersetzung: Hermann
Gmelin)
Alle großen Künstler,
die im Begriff sind, Bedeutendes zu Papier zu bringen, hoffen insgeheim, diesem
Vorhaben Kraft ihrer Worte gerecht zu werden, um sich aus ihrer heillosen Lage zu befreien. So mancher ruft hierfür die Musen,
die Schutzgöttinnen der Künste zu Hilfe, damit diese die nötige Kraft und
Inspiration schenken mögen. So tat es Dante Alighieri (1265-1321) bei seiner ins
Jenseits verlegten Abrechnung mit dem Diesseits, seiner „Commedia“, der er die letzten Jahre seines Lebens widmete und wie es das
einleitende Zitat belegt. So ging es wohl auch Thomas Mann (1875-1955) bei der
Niederschrift seines späten Meisterwerkes „Doktor Faustus“, an welchem er mühevoll mehrere Jahre im hohen Alter arbeitete und dem er eben jenes Dante-Zitat voranstellte.
Was nun die Musik betrifft, so galten auch hier Musen als Hoffnung für glückliche Eingebungen. Einmal wurde einer Muse sogar auf der Opernbühne gehuldigt, wo diese, von himmlischen Klängen begleitet, in Erscheinung trat. Dies fand im letzten Werk eines französischen Großmeisters der Musik statt, der kurz nach dessen Vollendung starb. Sein Name war Jean-Philippe Rameau.
Jean-Philippe Rameau (1683-1764),
seines Zeichens Hofkomponist von Ludwig XV. (1710-1774), wurde im Jahre 1763
anlässlich des Friedens von Paris, welcher das Ende des Siebenjährigen Krieges
(1756-1763) bedeutete, mit einer neuen Oper beauftragt. In diesem Spätwerk mit dem
Titel „Les Boréades“, welches Rameau im Alter von 80 Jahren zu komponieren
begann, sind durchaus Anzeichen der Aufklärung zu spüren: Es geht um die
Selbstbestimmung einer jungen Königin, die für ihre große Liebe, welche aus
unedleren Geschlechte ist, ihr ganzes Reich aufgeben will, um mit dieser in
Freiheit zu leben. Alles drückt sich im Libretto durch den entscheidenden Satz
aus: „C'est la liberté
qu'il faut que l'on aime“ („Es ist die Freiheit, auf die es ankommt“). Die Königin entscheidet sich also in dieser
heillosen Lage gegen den Staat, welcher für sie nicht die oberste Instanz ist,
sondern für die Freiheit. Dies würde für die Königen freilich ernste Konsequenzen haben. Letztendlich kommt aber durch Eingreifen göttlicher
Mächte doch alles noch zum Guten und die Königin kann aufgrund einer
glücklichen Fügung sowohl das Reich als auch ihre Liebe behalten. Dies liegt zum
einen an Apollo, dem Gott der Künste, und zum anderen an Polyhymnia, der göttlichen
Muse der Musik. Das Erscheinen Letzterer im vierten Akt der Oper gehört zu den
schönsten Einfällen, welche Rameau je gehabt hat. Hier wurde der alte Rameau in
der Tat von der Muse geküsst, als er jene himmlisch schwebenden
Klänge schrieb, welche die hoffnungsvolle, göttliche Rettung
der Königin aus ihrer Heillosigkeit darstellen sollen:
[Die Uraufführung
dieser Oper fand übrigens erst mehr als 200 Jahre nach der Komposition statt.
Die Proben zur damaligen Aufführung wurden abgebrochen. Ob daran der pikante
Inhalt der Oper, finanzielle Schwierigkeiten oder der Tod des Komponisten schuld
sind, kann nicht mit Sicherheit belegt werden.]
Was für ein Glück,
dass Rameau auch im Alter seine Inspiration nicht verließ. Die Musik wäre
ansonsten um eine Perle ärmer…
Dennoch ist diese wunderbare
Musik kein reines Alterswerk. Ihre Ursprünge sind in der Zeit vor Rameaus Karriere
als Opernkomponist am Königshofe zu finden. In den 1720er Jahren schrieb Rameau
revolutionäre Schriften über Musiktheorie und komponierte dazu bahnbrechende Suiten
für Cembalo, welche heute meist auf dem Klavier interpretiert werden. Diese
Suiten gehören zum Genialsten, was die französische Musik des 18. Jahrhunderts hervorgebracht
hat und sind auf einer Ebene mit den Suiten von Rameaus Zeitgenossen
Johann Sebastian Bach (1685-1750).
Die Suite in a-Moll
aus den späten 1720ern, Rameaus Meisterwerk, beginnt mit einer vollendeten
Allemande voller Dichte, Grazie und Erhabenheit. Im zweiten Teil dieser
Allemande begegnet uns ein Einfall, den aufmerksame Ohren bereits kennen: In
Minute 3:21 sowie 4:50 der Hörprobe offenbart sich uns die göttliche Muse
Polyhymnia für einen kurzen Moment und lässt uns mit einem Hauch
von Hoffnung bereichert zurück:
„Aber wie, wenn der
künstlerischen Paradoxie […] das religiöse Paradoxon entspräche, dass aus
tiefster Heillosigkeit, wenn auch als leiseste Frage nur, die Hoffnung keimte?
Es wäre die Hoffnung jenseits der Hoffnungslosigkeit, die Transzendenz der
Verzweiflung, - nicht der Verrat an ihr, sondern das Wunder, das über den
Glauben geht.“
(Thomas Mann, Doktor
Faustus, Kapitel XLVI)
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